Lecture: 20100 Vertragliche Schuldverhältnisse mit Vertragsgestaltung (WiSe 21/22)
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Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

Ich habe eine Frage zum Beispielsfall zur Minderung auf den Folien 79 und 80 wegen der Entbehrlichkeit der Fristsetzung.
Dabei schildern Sie in der Lösung zwei verschiedene Lösungswege: Bei dem ersten Weg begründen Sie die Entbehrlichkeit der Fristsetzung auf die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung gem. § 440 S. 1 Var. 3 BGB, das ich nachvollziehen kann.
Bei dem zweiten Weg stützen Sie die Entbehrlichkeit d. F. auf die Unmöglichkeit der Nacherfüllung gem. § 326 V Hs. 2 BGB, weil durch die Nacherfüllung ein neuer Mangel entstehen würde. Dazu wäre meine Frage, ob diese Begründung immer gilt oder nur für bestimmte Fälle (siehe weiter Ausführungen).
Würde man davon ausgehen, dass K bei der Nacherfüllung ein grundsätzlich mangelfreies Auto fordert, so könnte in diesem Fall zwar das Dach repariert werden, aber der Originalcharakter ginge verloren, was wohl bei der Beschaffenheit zu sonstige Eigenschaften, die der Kaufsache anhaften und für den Wert von Bedeutung sind, gehört, somit einen neuen Mangel darstellt und die Nacherfüllung für ein insgesamt mangelfreies Auto unmöglich machen würde.
Würde man bei der Bestimmtheit der Fristsetzung aber der (wohl) Mindermeinung, die die konkrete Benennung des Mangels fordert (Folie 71), folgen, so würde K theoretisch nur Nacherfüllung für das mangelhafte Dach fordern können. Dies ist ja grundsätzlich möglich. Ob dadurch ein anderer Mangel entsteht, ist für die Nacherfüllung des Dachs ja unabhängig, oder müsste diese unmittelbare Folge dabei auch berücksichtigt werden (dann hätte sich mein Problem erledigt). Sonst würde für diese Variante die Unmöglichkeit der Nacherfüllung ausscheiden und die Fristsetzung wäre nicht entbehrlich. Ist diese Mindermeinung anhand dieses Beispiels auch eher abzulehnen, denn der K hätte sodann wohl Schwierigkeiten, den Minderwert durch den Originalitätsverlust geltend zu machen.
Ich hoffe Sie haben mein hypothetisches und haarspalterisches Problem verstanden und können mir weiterhelfen.

Vielen Dank für Ihre Antwort!

 

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Markus Lackner
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Sehr geehrter Herr Lackner,
vielen Dank für Ihre Frage! Ich denke, die Antwort darauf ergibt sich, wenn man zwischen dem Nacherfüllungsanspruch und dem Erfordernis der Fristsetzung unterscheidet.
Fangen wir mit dem letzteren an und fragen schlicht, ob der Käufer ohne Fristsetzung zurücktreten oder mindern kann. Hierfür kann er - neben der Unzumutbarkeit gem. § 440 S. 1 Var. 3 BGB - anführen, dass die vollständige Mängelbeseitigung (darauf ist der Nacherfüllungsanspruch immer gerichtet, egal worauf die Fristsetzung gerichtet ist) unmöglich ist, sodass die Nachfrist gem. § 326 V 2 BGB entbehrlich ist. Hier spielt also keine Rolle, worauf der Käufer seine eventuelle Fristsetzung richten würde - es geht ja gerade darum, ob er überhaupt eine Frist setzen muss, und die Antwort lautet aus zwei Gründen "nein".
Schwieriger ist die erste Frage: Worauf ist der Nacherfüllungsanspruch gerichtet, bzw. gibt es ihn überhaupt? Das ist im Hinblick auf eine unzumutbare Nacherfüllung (§ 440 S. 1 Var. 3 BGB) unproblematisch, weil der Käufer selbstverständlich - wenn er das will - auch etwas fordern darf, was für ihn bei "objektiver" Betrachtung unzumutbar wäre. Der Verkäufer ist gegen missbräuchliche Nacherfüllungsbegehren mit der Einrede der Unverhältnismäßigkeit nach § 439 IV BGB hinreichend geschützt, sodass kein Grund besteht, den Nacherfüllungsanspruch des Käufers hier zu beschränken. Der Käufer hat dann schlicht die freie Wahl, ob er Nacherfüllung verlangen oder zurücktreten/mindern (oder ggfs. Schadensersatz statt der Leistung) will. Eine Fristsetzung ist nicht nötig, ein Nacherfüllungsverlangen kann der Käufer aber selbstverständlich stellen.
Deutlich schwieriger ist es, wenn man die Nacherfüllung insgesamt für unmöglich hält, weil der vertragsgemäße Zustand nicht hergestellt werden kann. Denn dann ist der Nacherfüllungsanspruch nach § 275 I BGB ausgeschlossen, sodass der Käufer diesen gar nicht mit Erfolg geltend machen kann. Hier stellt sich dann die ganz andere Frage, ob der Käufer in diesem Fall wenigstens eine "teilweise Nacherfüllung" verlangen kann, soweit diese möglich ist. Man nennt diesen Anspruch dann "Ausbesserungsanspruch", weil er die Sache gewissermaßen "etwas mangelfreier" machen soll, aber eben nicht vollständig mangelfrei machen kann (s. dazu zB BeckOK/Faust, 1.11.2021, § 439 Rn. 49; Horn, NJW 2017, 289). Die hM bejaht einen solchen Ausbesserungsanspruch, sodass der Käufer trotz Unmöglichkeit der (vollständigen) Nacherfüllung die Wahl hat, vom Verkäufer zumindest die Ausbesserung zu verlangen. Er kann dann aber trotzdem wegen des verbleibenden (bzw. durch die Ausbesserung neu entstehenden) Mangels Sekundärrechte (Minderung und Schadensersatz) geltend machen; nur der Rücktritt ist ihm dann grundsätzlich verwehrt, weil er durch die Geltendmachung des Ausbesserungsanspruchs deutlich macht, dass er die Kaufsache behalten möchte. Dieser Ausbesserungsanspruch ergibt sich daraus, dass der Nacherfüllungsanspruch gem. § 275 I BGB nur ausgeschlossen ist, "soweit" die Nacherfüllung unmöglich ist. Der "mögliche" Teil des Nacherfüllungsanspruches besteht also. Er löst aber kein Fristsetzungserfordernis aus, weil eben gerade kein vollständiger Nacherfüllungsanspruch gegeben ist (Faust a.a.O.). Der Käufer hat m.a.W. freie Wahl zwischen Ausbesserungsanspruch, Minderung, Rücktritt und ggfs. Schadensersatz statt der Leistung.
Ich hoffe, das beantwortet Ihre Frage.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm


Prof. Dr. Thomas Riehm
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