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Anonym 31.05.2023, 22:01
Fragen BGB AT

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

Ich habe zu verschiedenen Bereichen des BGB AT gesammelte Fragen. Ich wäre um eine Antwort sehr dankbar.
 

Ich habe eine Frage zu dem Widerruf von der Vollmacht bei der Stellvertretung.

Die Art des Widerrufs hängt nicht von der Art der Erteilung der Vollmacht ab. Ist dies so zu verstehen, dass nur weil eine Vollmacht durch §176 I Alt. 2 BGB erteilt wurde, dies nicht bedeutet, dass sie nur durch Alt. 2, also gegenüber dem Dritten widerrufen werden kann, sondern eben auch nach Alt. 1, aber es bei Alt. 1 dann sein kann, dass es zu einer Rechtsscheinsvollmacht führt ?

Widerrufen werden kann eine Vollmacht aber nur so lange, bis sie ausgeführt wurde, danach muss sie wenn dann angefochten werden ?

Woher kann ich diese „zeitliche Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit“ aus dem Gesetz ziehen ?

 

Könnten Sie mir bitte kurz erläutern, was der Unterschied von §170 BGB und §171 BGB ist ?


Wenn man eine Formnichtigkeit hat, steigt man in diese Prüfung ja mit dem §125 BGB ein. Prüft man im Gutachten dies bereits beim Zugang, also wenn das Original nie zugeht, und dass somit gar keine WE wirksam ist, oder prüft man es erst im Rahmen des Fehlen rechtshindernder Tatsachen über §125 BGB ?

Ich möchte mich schon jetzt bei Ihnen für Ihre Zeit und Antwort bedanken

Mit freundlichen Grüßen

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Anonym
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Vielen Dank für Ihre Fragen, die ich im Folgenden im Auftrag von Herrn Professor Riehm beantworten möchte:

1) "Die Art des Widerrufs hängt nicht von der Art der Erteilung der Vollmacht ab. Ist dies so zu verstehen, dass nur weil eine Vollmacht durch §176 I Alt. 2 BGB erteilt wurde, dies nicht bedeutet, dass sie nur durch Alt. 2, also gegenüber dem Dritten widerrufen werden kann, sondern eben auch nach Alt. 1, aber es bei Alt. 1 dann sein kann, dass es zu einer Rechtsscheinsvollmacht führt ?"

Das haben Sie ganz richtig gesehen: Gem. §§ 168 S. 3, 167 I BGB kann der Widerruf sowohl gegenüber dem Bevollmächtigten als auch gegenüber dem Dritten erklärt werden, beide sind taugliche Adressaten (ich vermute mal, dass Sie auf den § 167 I Alt. 2 auch Bezug nehmen wollten und nicht auf den § 176). Wurde die Vollmacht nun also gem. § 167 I Alt. 2 ggü. dem Dritten erteilt und sodann aber gem. §§ 168 S. 3, 167 I Alt. 1 BGB ggü. dem Bevollmächtigten widerrufen, ist der Widerruf unproblematisch wirksam.
Die erteilte Vollmacht ist also weg, aber im nächsten Schritten müssen wir uns - wie Sie ebenfalls richtig gesehen haben - fragen, ob das Tätigwerden des Vertreters weiterhin von einer Rechtsscheinvollmacht gedeckt ist. Das liegt daran, dass der Dritte vom Widerruf gegenüber dem Bevollmächtigten ja zunächst nichts weiß. Sein Vertrauen auf den Fortbestand der Vollmacht wird durch die §§ 170 - 173 BGB geschützt. 
Will die Geschäftsherrin diesen Vertrauensschutz ausschließen, muss sie den Widerruf der Vollmacht also dem Dritten mitteilen (vgl. § 170 BGB).

(2) "Widerrufen werden kann eine Vollmacht aber nur so lange, bis sie ausgeführt wurde, danach muss sie wenn dann angefochten werden ?

Woher kann ich diese „zeitliche Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit“ aus dem Gesetz ziehen ?"

Auch nachdem der Vertreter von der Vollmacht Gebrauch gemacht hat, kann sie weiter widerrufen werden (wenn sie dann überhaupt noch besteht oder ohnehin nur für das vorgenommene Geschäft erteilt wurde). Allerdings - und das meinen Sie vermutlich - wirkt der Widerruf nur ex nunc, also ab seiner Erklärung für die Zukunft. Zuvor bereits vom Vertreter abgeschlossene Verträge wirken weiter für und gegen die Geschäftsherrin. Geht es der Geschäftsherrin also gerade um das "Rückgängigmachen" eines konkreten, bereits getätigten Geschäfts, so hilft ihr der Widerruf schlicht nicht weiter. 

Als Willenserklärung ist die Erteilung der Vollmacht aber ebenso wie andere Willenserklärungen grds. nach den allgemeinen Regeln der §§ 119 ff. anfechtbar, deren Voraussetzungen dann natürlich vorliegen müssen. Rechtsfolge der Anfechtung ist dann gem. § 142 I BGB, dass die Vollmacht von Anfang an als nicht erteilt gilt, der ursprünglich Bevollmächtigte also rückwirkend zum Vertreter ohne Vertretungsmacht wird. (Im Detail tauchen bei der Frage nach der Anfechtbarkeit der Vollmacht zwar ein paar Probleme auf, die vor allem unter dem Stichwort der "ausgeübten Innenvollmacht" diskutiert werden. Eine vertiefte Beschäftigung damit würde ich Ihnen allerdings erst in einem späteren Semester empfehlen, da das schon sehr schwieriger Stoff ist.)

Dass der Widerruf die Vollmacht nur ex nunc zum Erlöschen bringt und bei schon getätigten Geschäften ins Leere geht - was Sie mit der "zeitlichen Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit" vermutlich meinen - lässt sich leider gar nicht unmittelbar aus dem Gesetz ziehen; das ist also tatsächlich etwas, was man sich merken sollte.

(3) "Könnten Sie mir bitte kurz erläutern, was der Unterschied von §170 BGB und §171 BGB ist ?"

Den § 170 BGB habe ich ja oben schon kurz erwähnt; diese Norm sagt uns, dass der Dritte, dem gegenüber die Vollmacht erteilt wurde, solange auf den Fortbestand der Vollmacht vertrauen darf, bis ihm deren Erlöschen von der Vollmachtgeberin mitgeteilt wurde (unter den Einschränkungen des § 173 BGB). § 170 BGB gilt also nur bei einer Außenvollmacht.

§ 171 BGB bezieht sich dagegen nicht auf die Erteilung der Vollmacht einem Dritten gegenüber, sondern auf die Kundgabe einer bereits erteilten Innenvollmacht (vgl. Wortlaut:"[...] dass er einen anderen bevollmächtigt habe [...]"). Diese Kundgabe kann durch Mitteilung an einen Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung geschehen. Durch die Kundgabe der Bevollmächtigung wird gem. § 171 BGB dann ebenfalls wie iRd § 170 BGB ein schutzwürdiges Vertrauen der Personen, die so von der Vollmacht erfahren haben, bzgl. des Fortbestands der Vollmacht begründet. Um diesen Vertrauensschutz ausschließen, muss die Vollmachtgeberin gem. § 171 II die Kundgebung in derselben Weise widerrufen, wie sie erfolgt ist.

(4) "Wenn man eine Formnichtigkeit hat, steigt man in diese Prüfung ja mit dem §125 BGB ein. Prüft man im Gutachten dies bereits beim Zugang, also wenn das Original nie zugeht, und dass somit gar keine WE wirksam ist, oder prüft man es erst im Rahmen des Fehlen rechtshindernder Tatsachen über §125 BGB ?"

Genau, wenn es ein Problem mit der Form gibt, prüfen Sie von der Rechtsfolge des § 125 BGB ausgehend, ob das Rechtsgeschäft gem. § 125 S. 1 oder S. 2 BGB nichtig ist. 
Beim Zugang geht es ja um das Wirksamwerden von Willenserklärungen, die notwendiger Bestandteil der "Rechtsgeschäfte" sind, von denen § 125 BGB spricht. Würde eine Willenserklärung, die die notwendige Form nicht einhält, schon nicht zugehen, wäre der § 125 BGB weitestgehend überflüssig: Die für das Rechtsgeschäft notwendige Willenserklärung würde dann schon nicht wirksam werden, sodass das Gesetz die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gar nicht mehr extra anordnen müsste. Noch dazu gibt es manchmal ja auch die Möglichkeit der nachträglichen Heilung eines Formmangels (zB in § 311b I 1 oder § 518 II BGB); diese Möglichkeit würde man abschneiden, wenn man schon den Zugang der Willenserklärung in der "falschen Form" verneinen würde.

Formnichtigkeit gem. § 125 BGB sollten Sie also vom Zugang trennen und im Gutachten in einem gesonderten Prüfungspunkt im Rahmen der rechtshindernden Einwendungen prüfen (wie Sie ja selbst schon gesagt haben). Ein Beispiel: A und B möchten einen Kaufvertrag über ein Grundstück abschließen. Ihren Erklärungen lassen sie jedoch nicht gem. § 311b I 1 BGB notariell beurkunden, sondern schließen den Kaufvertrag nur per Briefkorrespondenz ab. In diesem Fall prüfen Sie im Rahmen des Zustandekommens des Kaufvertrags ganz normal Angebot und Annahme, jeweils mit Abgabe und Wirksamwerden durch Zugang, § 130 I 1 BGB. Im nächsten Schritt prüfen Sie dann, ob der eigentlich zustande gekommene Kaufvertrag gem. § 125 S. 1 BGB wegen Missachtung der gesetzlichen Form nichtig ist. 

Ich hoffe, meine Ausführungen helfen Ihnen weiter. Falls es noch an einer Stelle Probleme gibt, fragen Sie gerne erneut nach. :-)

Herzliche Grüße
Stefanie Heiland (Lehrstuhl Prof. Riehm)

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heilan04
Offline Stefanie Heiland
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Anonym 05.06.2023, 23:29

Vielen Dank Frau Heiland.

Ich habe nur noch eine Nachfrage zu ihrer letzten Antwort: Wenn etwas Schriftform voraussetzt und aber nur ein Fax gemacht wird, ist diese wet in paper Tinte ja nicht mehr gewahrt und genügt daher nicht mehr der Schriftform. Ist dann beim Zugang schon zu sagen, dass die WE nicht zugeht, weil das Original nicht zugeht oder spricht man dies auch erst später im Rahmen von §125 bei den rechtshindernden Einwendungen das erste mal an ?

Mit freundlichen Grüßen

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Anonym
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Genau, ein Fax erfüllt die gesetzliche Schriftform des § 126 BGB nicht, da dem Empfänger ja nur eine Kopie zugeht, die keine eigenhändige Namensunterschrift enthält. 
In Bezug auf die Frage, wo man dies in der Klausur anspricht, gilt auch für das Fax meine vorherige Antwort - die Erklärung, die im Fax enthalten ist, geht dem Empfänger ja zu. Zwischen Original und Kopie würde ich deshalb beim Zugang gar nicht differenzieren. Dass das Fax nicht die gesetzliche Schriftform erfüllt, weil nur eine Kopie der Erklärung übermittelt wurde, sollte daher ebenfalls erst wieder bei der Frage nach der Formnichtigkeit des Rechtsgeschäfts gem. § 125 S. 1 BGB, also bei den rechtshindernden Einwendungen angesprochen werden.

Freundliche Grüße zurück!

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heilan04
Offline Stefanie Heiland
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