Universität Passau
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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Riehm,

ich wäre sehr dankbar für die Aufklärung der folgenden Frage: Ist der Hersteller ein Erfüllungsgehilfe des Verkäufers?

Ein Zurechnen des Verschuldens eines Erfüllungsgehilfen richtet sich ja grds. nach § 278 S. 1 BGB, wonach eine Zurechnung erfolgt, wenn ein Dritter mit Wissen und Wollen des Schuldner in dessen Pflichtenkreis tätig wird. Der Verkäufer hat gem. § 433 I 2 BGB die Pflicht mangelfrei zu leisten. Wenn aber nun der Verkäufer seinerseits Ware von einem Hersteller bezieht und dieser mangelhaft leistet, haftet dann der Verkäufer auch für das Verschulden des Herstellers gem. § 278 S. 1?

Wird ein Unterschied gemacht zwischen Lieferant und Hersteller?

Herzlichen Danke für Ihre Mühe (im Voraus).


[Zuletzt editiert von Anonym - 02.02.22 - 12:23]
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Anonym
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Guten Tag,
vielen Dank für Ihre Frage. Die Antwort lautet schlicht: Es ist umstritten.
  • Die traditionelle h.M. geht davon aus, dass der Verkäufer zwar zur mangelfreien Lieferung, nicht aber zur Herstellung selbst verpflichtet ist (es handelt sich ja nach wie vor um einen Kaufvertrag, nicht um einen Werklieferungsvertrag). Der Hersteller wird daher nicht im Pflichtenkreis des Verkäufers tätig und ist daher kein Erfüllungsgehilfe (BGH NJW 2020, 3312 Rn. 18; BGHZ 200, 337 Rn. 31 f. = NJW 2014, 2183; BeckOGK-BGB/Schaub [Stand: 1.9.2021], § 278 Rn. 66.1)
  • Die im Vordringen befindliche Gegenmeinung stützt sich auf das von Ihnen vorgebrachte Argument der Pflicht zur mangelfreien Lieferung, die der Verkäufer ohne den Hersteller (bzw. seinen Lieferanten) gar nicht erfüllen könne. Daher sei der Hersteller als Erfüllungsgehilfe anzusehen (MüKoBGB/Grundmann, 8. Aufl. 2019, § 278 Rn. 31; PWW/Kramme, 16.  Aufl. 2021, § 278 Rn. 21; Schroeter JZ 2010, 495 ff.). Dafür spricht auch das teleologische Argument, dass nur auf diese Weise der Schaden im Regresswege durch die Lieferkette "durchgereicht" werden kann, sodass er letztlich von derjenigen Partei zu tragen ist, die ihn (selbst) verschuldet hat: Nur bei Anwendung des § 278 BGB haftet der Letztverkäufer gegenüber dem Endkunden, und in der Folge auch der Lieferant gegenüber dem Letztverkäufer etc., bis zum Hersteller. Nach der hM schuldet mangels Vertretenmüssens schon der Letztverkäufer keinen Schadensersatz auf vertraglicher Grundlage, sodass sich die Frage eines Regresses bis zum Hersteller gar nicht stellt; allenfalls ist an eine unmittelbare Herstellerhaftung gegenüber dem Endkunden nach § 1 I 1 ProdHaftG zu denken.
  • Ganz neu zu bewerten ist die Lage vss. im Hinblick auf die "digitalen Leistungspflichten" von Verkäufern nach §§ 475b, c BGB: Diese kann der Verkäufer in aller Regel nur mit Hilfe des (Software)herstellers bzw. -zulieferers erfüllen, weil er Updates als Händler schon gar nicht programmieren kann. Hier wird man wohl etwas großzügiger mit der Annahme einer Erfüllungsgehilfeneigenschaft sein müssen (s. dazu Riehm, RDi 2021, 620, 622).
Beste Grüße

Prof. Dr. Thomas Riehm
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riehm01
Offline Prof. Dr. Thomas Riehm
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Anonym 15.02.2022, 21:51
Herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort und die sehr lehrreiche VSV-Veranstaltung!
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Anonym
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