Universität Passau
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Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

bei der Arbeit am Fall für nächste Woche sind mir einige Aspekte in den Sinn gekommen, die ich noch nicht vollständig verstanden habe.
Der Gefahrübergang stellt ja die Anwendungsgrenze zwischen dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht und dem Gewährleistungsrecht dar. Nun stellt sich mir aber die Frage, wie bei einer Schlechtleistung zu verfahren ist, die als solche vor dem Gefahrübergang erkannt wird (wie im Fall Autokauf IV). Eigentlich bestünde ja dann für den Gläubiger/Käufer keine Abnahmepflicht mehr, die Leistung gilt als nicht erfüllt und wir befinden uns im allgemeinen Leistungsstörungsrecht. Wenn man aber nun den GÜ (egal ob fiktiv oder tatsächlich) als maßgeblichen Zeitpunkt auch beim Versendungskauf gelten lässt, so wäre die Gefahr nach § 447 doch bereits bei der Übergabe an die Transportperson übergegangen und damit ab diesem Zeitpunkt, aber noch vor der Sichtung des Mangels durch den Käufer, das Gewährleistungsrecht anwendbar. Demnach wäre ja dann eine Abnahmeverweigerung gar nicht mehr möglich.
In diesem Zusammenhang würde mich ebenfalls interessieren, was es mit dem in der Literatur tlw. bejahten Phänomen der "Annahme als Erfüllung nach angemessener Untersuchungsfrist" als Ersatz des GÜs auf sich hat.
Ist/Kann dieser Ansicht gefolgt werden, welche Auswirkungen hätte es und würde dies nicht eine Art "Untersuchungspflicht" des Käufers begründen?

Vielen Dank im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen

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Anonym
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Guten Tag,
herzlichen Dank für Ihre Frage! In der Tat haben Sie mit Ihrem Beispiel genau den Fall herausgefunden, bei dem sich die beiden Auffassungen (Gefahrübergang vs. Annahme der Leistung als Erfüllung) wirklich gravierend unterscheiden. Folgt man der h. M., wonach auf den (ggfs. fiktiven) Gefahrübergang abzustellen ist, so hat der Käufer ein Recht zur Zurückweisung (mit der Folge, dass allgemeines Leistungsstörungsrecht anwendbar bleibt) nur bei einer Hol- oder Bringschuld. Bei der Schickschuld dagegen wäre, weil der Gefahrübergang gemäß § 447 BGB schon beim Versand stattgefunden hat, eine Zurückweisung mit dieser Folge nicht mehr möglich (außer beim Verbrauchsgüterkauf, auf den gemäß § 475 I 2 BGB die Vorschrift des § 447 BGB keine Anwendung findet). Nach der Gegenauffassung, die auf den Zeitpunkt des § 363 BGB abstellt, besteht ein solches Zurückweisungsrecht auch bei der Schickschuld (näher BeckOK/Faust, § 437 Rn. 4-6).
Im Übrigen führt ein Abstellen auf § 363 BGB als Abgrenzung zwischen dem Allgemeinen Leistungsstörungsrecht und der kaufrechtlichen Gewährleistung aber nicht zu besonderen Konsequenzen. Effektiv hat der Käufer nur ein (kleines) Zeitfenster, während dessen er seine Rechte aus dem Allgemeinen Leistungsstörungsrecht wahren kann, indem er die mangelhafte Ware zurückweist. Verzichtet er auf eine Untersuchung während dieser Zeit, so erleidet er keinerlei Nachteile; es ist dann nur das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht anwendbar, welches nach der h. M. ohnehin schon ab der Übergabe anwendbar ist. Eine besondere Untersuchungspflicht ergibt sich daraus nicht; umgekehrt wird die beim Handelskauf ohnehin bestehende Untersuchungsobliegenheit nach § 377 HGB mit dem Gewährleistungsrecht koordiniert, weil die Frist für die Untersuchung auf offensichtliche Mängel im Handelskauf dann die gleiche ist wie diejenige, die über die Anwendbarkeit des Gewährleistungsrechts entscheidet.
Ich hoffe, das beantwortet Ihre Frage.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
Offline Prof. Dr. Thomas Riehm
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