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Anonym 07.12.2021, 15:31
Schaden - Definition

Wir hatten vor einer Woche über die korrekte Definition zum Schaden gesprochen. Wie ich so mitbekommen habe, sprechen die meisten Übungsleiter von unfreiwilligen Vermögensopfern (was ja falsch ist). Inwiefern spielt das eine wichtige Rolle und was wäre die tatsächlich korrekte Definition (auch in Lehrbüchern liest man Unterschiedliches). Viel Dank im Voraus!

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Anonym
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Guten Abend,
vielen Dank zunächst für die Wiederholung der Frage aus der Vorlesung - bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort; ich habe erst noch ein wenig dazu recherchiert. Danach stellt sich mir die Lage folgendermaßen dar:
In der Tat findet sich in der Literatur eine Definition des Schadens als "jede unfreiwillige Einbuße an materiellen oder immateriellen Gütern oder Interessen" (Looschelders, SchuldR AT, § 44 Rn. 1). Damit ist zumindest eine Quelle für diese Definition gefunden, und zugleich sichergestellt, dass es Ihnen stets als vertretbar angerechnet werden muss, wenn Sie diese Definition verwenden. Der Punkt, auf den ich in der Sache hinauswollte (und immer noch hinauswill) ist allerdings, dass diese Definition nicht beim Wort genommen werden darf (was für Definitionen immer schlecht ist...). Looschelders selbst schreibt in der gleichen Randnummer (nachdem er tatsächlich den Gegensatz von Schäden als unfreiwillige und Aufwendungen als freiwillige Vermögensopfer herausgestellt hat):
"Der Schadensbegriff umfasst allerdings auch Aufwendungen, die der Geschädigte zur Verhinderung eines drohenden Schadens sowie zur Beseitigung oder Geringhaltung eines eingetretenen Schadens tätigt. Solche Aufwendungen beruhen auf dem (drohenden) Schadenseintritt und können daher nicht als freiwillig angesehen werden." Es folgen Verweise auf instruktive Rechtsprechung.
Daraus leiten sich aus meiner Sicht folgende Punkte ab:

  • Die Definition "unfreiwillige Vermögensopfer" ist falsch, weil unzweifelhaft auch immaterielle Nachteile vom Schadensbegriff umfasst sind (nur deren Ersatzfähigkeit ist durch § 253 BGB eingeschränkt).
  • Die von Looschelders verwendete Definition (s.o.) ist (selbstverständlich) vertretbar; ihre Verwendung sollte allerdings die von Looschelders selbst gemachte Einschränkung berücksichtigen, dass sie nicht in der Weise beim Wort genommen werden darf, dass nach Schadenseintritt alle Beseitigungsmaßnahmen "freiwillig" und daher keine Schäden mehr seien. Vielmehr würde ich sagen, dass die "Unfreiwilligkeit" der Einbuße nur das primäre Schadensereignis betrifft, nicht jeden einzelnen Schadensposten. Konkreter: Der Unfall und die dabei erfolgten Sachbeschädigungen (=Schaden) werden unfreiwillig erlitten, nicht die späteren Reparaturaufwendungen für diesen Schaden. Mit dieser Maßgabe kann die Definition verwendet werden; ich würde aber nach wie vor selbst behaupten, dass die "Unfreiwilligkeit" hier mehr eine Beschreibung des typischen Falles als ein hartes Definitionsmerkmal ist.
  • Soweit die von Looschelders gemeinten "Aufwendungen zur Schadensbeseitigung" (etc.) in Frage stehen, finden die Herausforderungsgrundsätze keine Anwendung; weder Looschelders noch die diversen BGH-Entscheidungen wenden diese an, und das zu recht. Vielmehr bewegen wir uns hier ja in einem Bereich, in welchem das Vorliegen eines Schadens (iSv § 249 I BGB) schon feststeht (zB Sachbeschädigung eines Auto-Kotflügels), und nur die Art und Weise seines Ersatzes zu prüfen ist. Hierfür kann, wenn der Geschädigte die Reparatur schon hat vornehmen lassen, entweder § 249 I 1 BGB herangezogen werden (Begründung: Von dem Schaden ist jetzt nur noch der finanzielle Fehlbetrag auf dem Konto übrig, der im Wege der Naturalrestitution durch den Schädiger per Geldzahlung auszugleichen ist), oder § 249 II 1 BGB (Begründung: Der Geschädigte kann den zur Reparatur erforderlichen Geldbetrag "abstrakt", ohne Nachweis konkret entstandener Kosten und unabhängig von einer tatsächlich durchgeführten Reparatur verlangen). Beides unterliegt einer Beschränkung u.a. durch die Schadensminderungsobliegenheit des § 254 II 1 Alt. 3 BGB, aus der sich die zentrale Grenze ergibt: Nur diejenigen Aufwendungen zur Schadensbeseitigung, die ein vernünftig und wirtschaftlich denkender Geschädigter vorgenommen hätte, sind ersatzfähig. Das ist nicht das gleiche wie die Herausforderungsformel, die sich aber auf die haftungsbegründende Kausalität bezieht, nicht auf die haftungsausfüllende Kausalität.
Meine persönliche Empfehlung wäre, das Merkmal der "Unfreiwilligkeit" aus der Definition schlicht zu entfernen, weil es eben kein streng definitorisches Merkmal ist; es gibt unstreitig konkrete Schadensposten, die (bei isolierter Betrachtung) "freiwillig" eingegangen wurden, und dennoch ersatzfähig sind. Das einzig "unfreiwillige" an diesen ist, dass der Anlass, warum diese Aufwendungen zur Schadensbeseitigung getätigt wurden, unfreiwillig erlitten wurde. Sicherer ist es mE daher, auf das Merkmal ganz zu verzichten; es ist schlicht unnötig, weil die Anforderungen der haftungsausfüllenden Kausalität bereits dafür sorgen, dass nur die richtigen Posten ersatzfähig sind. Danach wäre mein Vorschlag der Definition: "Schaden ist jede Einbuße an materiellen oder immateriellen Gütern oder Interessen infolge des schädigenden Ereignisses". Wenn Ihnen allerdings die Einschränkungen der "Unfreiwilligkeit" bewusst sind, können Sie das Merkmal in der Definition aber auch drin lassen. Meine Empfehlung speist sich lediglich aus der (Korrektur-)Erfahrung, dass zu viele Studierende über das Merkmal eher stolpern und die Aufwendungen zur Schadensbeseitigung dann wegen fehlende Unfreiwilligkeit aus dem Schadensbegriff ausklammern und/oder über die Herausforderungsgrundsätze gehen, was mE beides falsch wäre.
Ich hoffe, damit etwas Licht in das Thema gebracht zu haben.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

[Zuletzt editiert von Prof. Dr. Thomas Riehm - 11.12.21 - 16:24]
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riehm01
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