Sehr geehrter Herr Gollwitzer,
vielen Dank für Ihre scharfsinnigen Fragen. Ihre Ausgangsüberlegungen halte ich (fast) alle für zutreffend, daher beschränke ich mich auf Ihre Fragen:
Lukas Gollwitzer hat geschrieben:
1. Wie wird in diesem Fall Vertrauensschaden und Erfüllungsinteresse berechenet? Welche Posten sind abzugsfähig (v.a. Porto)? Was ist der Umfang des Schadenersatzes?
Der Vertrauensschaden ist in dem von Ihnen gebildeten Fall tatsächlich der Wert der Münze (s. sogleich bei Ihrer Frage 3), zuzüglich des Portos: V ist tatsächlich so zu stellen, als hätte er von dem Vertrag mit K nie gehört - und dann hätte er die Münze noch und das Porto nicht ausgegeben.
2. Ist ein Anspruch auf Rückübertragung von Besitz und Rückübereignung überhaupt im Rahmen von § 122 zulässig? Kann man über den Weg des "Nicht-Vertrauens" auf ein Verpflichtungsgeschäft, anlässlich dessen ein Verfügungsgeschäft als erfüllende Leistung durchgeführt wurde, die Rückabwicklung des Verfügungsgeschäfts erwirken? Ist das nicht ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip - das Verfügungsgeschäft ist ja schließlich von der Anfechtung wegen des Minimalkonsenses gar nicht betroffen.
Ja, dieser Anspruch ist möglich und kein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip. Der wesentliche Unterschied zu einem Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip ist, dass das Eigentum durch die Anfechtung nicht automatisch zurückfällt, sondern rechtsgeschäftlich zurückübertragen werden muss. Das ermöglicht es, dass K zwischenzeitlich (wie es ihm in Ihrem Beispiel beinahe gelungen wäre) als Berechtigter über die Münze weiterverfügen kann, D also nicht auf seinen gutgläubigen Erwerb angewiesen ist. Auch trägt V das Risiko der zwischenzeitlichen Insolvenz des K und muss sich im Insolvenzfall mit allen anderen Gläubigern des K gemeinsam dessen Vermögen teilen; ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip wäre es, wenn V automatisch das Eigentum an der Münze zurückbekäme und dadurch in der Insolvenz privilegiert wäre, weil er seine Münze schon hätte.
3. (Wieso) sind die §§ 250 ff. überhaupt auf den SE-Anspruch des § 122 anwendbar? § 249 I lieferte, wenn man ihn auf § 122 I anwenden würde, gerade keine sinnvolle Rechtsfolge: Denn wenn der Geschädigte so zu stellen ist, wie wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand (Unwirksamkeit infolge Anfechtung) nicht eingetreten wäre, wäre er so zu stellen, wie wenn die Anfechtung nie eingetreten und damit der Vertrag wirksam erfüllt worden wäre. Das gesamte Anfechtungsrecht wäre ausgehebelt, da es immer ins Leere laufen würde.
Ja, die §§ 249 ff. sind anwendbar. Hier ist der einzige kleine Prämissenfehler in Ihrer Frage: Das "zum Ersatz verpflichtende Ereignis" iSv § 249 I BGB ist nicht die Anfechtung selbst, sondern dem Wortlaut des § 122 BGB folgend das Vertrauen in die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts. V ist also so zu stellen, als hätte er nicht darauf vertraut, dass das Geschäft wirksam ist.
4. Angenommen der K würde die Münze nicht verlieren und dem D verkaufen und veräußern. Die Anfechtung richtet sich ja nur gegen den Kaufvertrag, die Verfügung bliebe wirksam, der D hätte also "ganz normal" vom berechtigten K Eigentum erworben. Wäre der K in diesem Fall auch "entreichert" iSd § 818 III und der V könnte nur über § 122 i.V.m. § 285 I die Herausgabe des Veräußerungserlöses verlangen oder wäre das "schon" ein Fall von § 818 II?
Hier habe ich zwei Korrekturen Ihrer Prämissen:
1) Auch wenn K im technischen Sinne entreichert ist, versagt ihm die herrschende Meinung in diesem Fall den Entreicherungseinwand nach § 818 III BGB. Der Hintergrund ist mE für das erste Semester wesentlich zu kompliziert. Die einschlägigen Stichworte sind "Saldotheorie" (als Position des BGH) bzw. "Lehre von der Gegenleistungskondiktion" (als Gegenposition in der Lit.). Beide Positionen sind sich in dem Ergebnis einig, dass bei einem gegenseitigen Vertrag der Leistungsempfänger (hier K) grundsätzlich (außer Arglist des V oder Minderjährigkeit des K) das wirtschaftliche Risko eines späteren Verlusts des Leistungsgegenstandes tragen soll, falls der Vertrag nach Bereicherungsrecht rückabwgewickelt werden soll. Seit 2002 gibt es hierfür auch einen normativen Anknüpfungspunkt im BGB in einer Analogie zu § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB. Das ist aber abgefahrener Stoff aus den Gesetzlichen Schuldverhältnissen im 4. Semester.
2) Ob § 285 BGB auf Schadensersatzansprüche überhaupt anwendbar ist, ist umstritten (s. etwa BeckOGK/Dornis, 1.10.2022, § 285 Rn. 35, dort allerdings zu Ansprüchen aus unerlaubter Handlung). Wenn man ihn anwendet, wäre das ein möglicher Inhalt des Schadensersatzanspruches auch aus § 122 BGB. Allerdings ist die Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse des V (!) zu beachten, d.h. mehr als 5 € (20 € Kaufpreis minus 5 € Porto minus 10 € Wert der Münze) kann V ohnehin nicht bekommen, egal was K bei D erlöst hätte.
Ich hoffe, das beantwortet Ihre Fragen.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm