Prof. Dr. Thomas Riehm wrote:
Guten Abend,
vielen Dank für Ihre Frage. M.E. ist in Ihrer Frage eine Prämisse falsch, weswegen die Schlussfolgerungen schwierig werden. Sie schreiben:
Damit die Leistungsgefahr gem. §275 I BGB übergeht, ist doch in der Regel auch der nach Konkretisierung erfolgende Untergang dieser Sache erforderlich.
Dieser Satz stimmt nicht. Vielmehr ist umgekehrt der Übergang der Leistungsgefahr die Voraussetzung für eine Unmöglichkeit. Solange noch der Schuldner die Leistungsgefahr trägt, kann die Leistung nicht unmöglich werden. Erst wenn die Leistungsgefahr auf den Gläubiger übergeht (bei der Gattungsschuld nach § 243 II BGB, ganz ausnahmsweise auch mal nach § 300 I BGB), kann überhaupt Unmöglichkeit eintreten; vor diesem Zeitpunkt müsste der Schuldner jederzeit aus der Gattung nachleisten, sodass keine Unmöglichkeit eintreten kann (nur zur Sicherheit: Wir sprechen hier immer nur über Gattungsschulden - bei Stückschulden trägt der Gläubiger von Anfang an die Leistungsgefahr).
Zur Klarstellung die Definition: Leistungsgefahr bedeutet aus Sicht des Schuldners (wenn er sie trägt), dass er bei Untergang der Sache nachleisten muss, und aus Sicht des Gläubigers (wenn er sie trägt), dass er bei Untergang der Sache nichts bekommt.
Weil sich nun der Übergang der Leistungsgefahr nach § 243 II BGB richtet und daher voraussetzt, dass der Schuldner alles zur Leistung einer Sache "mittlerer Art und Güte" (§ 243 I BGB) seinerseits erforderliche getan hat, geht die Leistungsgefahrt nicht über, wenn die Sache einen Mangel hat. Denn dann hat der Schuldner eben nicht alles getan, was zur Leistung einer Sache "mittlerer Art und Güte" erforderlich ist. Ergo: Kein Übergang der Leistungsgefahr.
Wenn aber die Leistungsgefahr nicht auf den Gläubiger übergegangen ist, kann erst recht die Gegenleistungsgefahr (die § 434 I BGB meint) nicht auf ihn übergehen. Denn Übergang der Gegenleistungsgefahr bedeutet: Der Gläuibiger bekommt die Sache nicht, muss aber trotzdem bezahlen. Wenn noch nicht einmal die Leistungsgefahr übergegangen ist, kann sich diese Situation gar nicht ergeben, weil der Gläubiger die Sache ja auf jeden Fall bekommt (der SChuldner muss ja aus der Gattung nachleisten).
Ich hoffe, die vertrackte Situation etwas aufgeklärt zu haben. Bitte behalten Sie dabei immer im Kopf, dass alles am Ende gar kein Problem ist: Alle sind sich einig, dass § 434 I BGB bei Gattungsschulden den fiktiven Gefahrübergang meint - darüber wird nicht gestritten. Wichtig ist nur, für eine evtl. spätere mündliche Prüfung (oder auch für das eigene Verständnis) dike Begründung hierfür einmal nachvollzogen zu haben.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Riehm,
vielen Dank für die umfassende Beantwortung meiner Frage!
Bitte noch eine Nachfrage zu folgender Definition: Leistungsgefahr bedeutet aus Sicht des Gläubigers (wenn er sie trägt), dass er bei Untergang der Sache nichts bekommt. Dass er nichts, d.h. keine Nacherfüllung, bekommt, wenn zwar die Sache nach Gefahrübergang, vor der ja auch die Leistungsgefahr schon übergegangen ist, nicht untergegangen, sondern nur mangelhaft geworden ist, kann man schon dem §434 I BGB ("Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang") und dementsprechend §437ff BGB entnehmen, auf §275 I BGB kommt es damit nicht an, oder? (Es wäre nur hilfreich zu wissen, wo diese Folge normativ verankert ist.)
Vielen Dank für Ihre Mühe.
Beste Grüße