Universität Passau
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Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

ist es denn möglich § 440 BGB nach Art. 13 Abs. 4 lit. b ("versucht hat") bzw. lit. d ("innerhalb einer angemessenen Frist" bzw. "ohne erhebliche Unannehmlichkeiten") der RL (EU) 2019/771 (pauschal) dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass bereits ein einmalig fehlgeschlagener Versuch ausreicht, um die Fristsetzung entbehrlich zu machen? Die Richtlinie lässt nach dem Wortlaut für die Beendigung des Kaufertrags ja eigentlich einen misslungenen Versuch ausreichen, oder nicht?

Schon mal vielen Dank!

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Anonym
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Guten Tag,
vielen Dank für Ihre Frage! Eine solche richtlinienkonforme Auslegung des § 440 BGB  ist nicht nötig, weil § 440 BGB im Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2019/771 ohnehin keine Anwendung findet. Für den Verbrauchsgüterkauf ist § 475d BGB hinsichtlich des Erfordernisses einer Fristsetzung und ihrer Entbehrlichkeit die vorrangige Spezialregelung, die § 440 BGB ausdrücklich ausschließt ("abweichend von ... § 440"). Art. 13 Abs. 4 lit. b ist dann unmittelbar in § 475d I Nr. 2 BGB umgesetzt, wonach in der Tat ein einmalig fehlgeschlagener Nacherfüllungsversuch genügt.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
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Anonym 11.01.2022, 17:33

Vielen Dank für Ihre schnelle Antwort! Dazu aber noch eine Ergänzungsfrage: Wie verhielte sich die oben beschriebene Lage denn nach altem Recht, also unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 5 Sp. 2 der RL 1999/44/EG? Dort gab es ja noch keine dem 475d Abs. 1 Nr. 2 BGB entsprechende Regelung.

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Anonym
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Diese Vorschrift musste bis zum 31.12.2021 in der Tat durch eine richtlinienkonforme Auslegung umgesetzt werden, wobei das entweder über eine richtlinienkonforme Interpretation des § 323 II Nr. 3 BGB oder des § 440 S. 1 Alt. 3 BGB gelöst wurde (jeweils für den Fall eines Verbrauchsgüterkaufs). Das war ein klassisches Problem des Verbrauchsgüterkaufrechts, weil der deutsche Gesetzgeber hier die Richtlinie falsch umgesetzt hatte - und zwar hartnäckig, denn der Fehler war von Anfang an bekannt und das Kaufrecht wurde zwischen 2002 und 2022 mehrfach zur Anpassung an EuGH-Rechtsprechung zur VerbrGKRL geändert, nur eben dieser Fehler nicht (näher MüKoBGB/Lorenz, Vor § 474 Rn. 25).
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
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