Lieber Herr Gollwitzer,
erneut vielen Dank für die Frage, und wiederum haben Sie völlig recht. Der Unterschied zwischen den beiden von Ihnen verglichenen Fällen liegt in der Bewertungsfrage, ob die Beschädigung der Sache vor Gefahrübergang zur vollständigen Unmöglichkeit führt oder nicht. In Ihrem Beispiel aus der ersten Frage sprachen Sie vom "Totalschaden", bei dem man gemeinhin davon ausgeht, dass das Restwrack eine gänzlich andere Sache ist (zu lesen als: Daran kann kein Käufer eines Autos mehr ein Interesse haben), sodass vollständige Unmöglichkeit mit der Folge des § 326 I 1 BGB eingetreten ist - sich aber die weitere Frage eines "Wiederauflebens" des Anspruchs durch Übergabe und Übereignung nicht mehr stellen kann.
Anders liegt es, wenn die Sache "nur" unbehebbar mangelhaft ist, ist für § 326 I 1 BGB kein Raum, weil die Leistung des Verkäufers "an sich" (Übergabe und Übereignung) noch möglich ist. Die Situation ist hier aber tatsächlich ein wenig "zwischen" den Normen: Solange noch nicht übergeben und übereignet ist, ist auch für § 326 I 2 BGB (der aber ohnehin keine konstitutive Bedeutung hat, sondern nur § 326 I 1 BGB ausschließt) kein Raum. Letztlich kann der Käufer die (mangelfreie) Leistung verlangen - was aber teilweise (hinsichtlich der Qualität) nicht geht (qualitative Unmöglichkeit, § 275 I BGB). Möglich ist aber immehin Übergabe und Übereignung, die der Käufer also auch verlangen kann, wenn er das will. Wenn er das macht, stehen ihm die kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte ab Übergabe zu, insbesondere Minderung und Rücktritt gem. §§ 437 Nr. 2, 323, 326 V, 441 BGB; einer Fristsetzung bedarf es wegen der Unbehebbarkeit des Mangels nicht (§ 326 V 2 BGB).
Bietet der Verkäufer die (unbehebbar mangelhafte) Ware zwar an, nimmt der Käufer sie aber wegen des Mangels nicht an, handelt es sich um eine vollständige Nichtleistung, wir sind also im allgemeinen Leistungsstörungsrecht. Dennoch erscheint mir § 323 BGB allein hierfür nicht die angemessene Lösung zu bieten, denn warum sollte der Käufer hier eine Frist zur mangelfreien Leistung setzen, wenn doch klar ist, dass der Verkäufer nicht mangelfrei wird leisten können und der Käufer die mangelhafte Leistung nicht will?! Gleichwohl findet man diese Auffassung in der Lit. (zumindest für das Parallelproblem bei der Teilleistung, s. BeckOGK BGB/Herresthal, 1.4.2022, § 326 Rn. 354). In der Sache sollte es mE ein Rücktrittsrecht des Käufers ohne Fristsetzung geben.
Lösbar ist das entweder über § 326 V BGB oder über § 323 I BGB, wobei man die Frist nach § 242 BGB für entbehrlich hält (weil § 323 II Nr. 3 mangels "erbrachter" Leistung nicht unmittelbar anwendbar ist). Beides ist nicht 100%ig sauber: § 326 V BGB passt zwar teleologisch und systematisch - das Rücktrittsrecht nach Hs. 1 hat aber dummerweise die identischen tatbestandlichen Voraussetzungen wie § 326 I 1 BGB, den wir aber aus den von Ihnen genannten Gründen nicht anwenden wollen, damit der Käufer wählen kann, ob er die beschädigte Sache will oder nicht will. Es ist daher zu begründen, warum § 326 I 1 BGB keine Anwendung finden soll, § 326 V aber schon. Begründbar ist das mE mit dem Rechtsgedanken des § 326 I 2 BGB, auch wenn die Vorschrift nicht unmittelbar anwendbar ist. Der Rechtsgedanke steuert aber genau das, was wir hier suchen: Kein automatischer Wegfall der Gegenleistungspflicht, sondern Wahlrecht des Käufers hinsichtlich des Umgangs mit dem Mangel. Die Alternative Lösung über §§ 323 I 1, 242 BGB scheint mir aber ebenso gangbar: Es liegt eine Nichtleistung trotz Möglichkeit vor, und das Verlangen einer Fristsetzung bei offensichtlich nicht erfüllbarer Leistungspflicht wäre sinnlose Förmelei, sodass die Fristsetzung gem. § 242 BGB entbehrlich ist; das ist keine Rechtsfortbildung contra legem, weil der Gesetzgeber bei Schaffung des § 323 II Nr. 3 BGB ausdrücklich festgehalten hatte, dass für die reine Nichtleistung (die hier vorliegt) § 242 für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung angewendet werden solle.
Wichtig ist, dass es in beiden Fällen nicht auf die Schwelle des § 323 V 2 BGB ankommt, weil diese Norm ebenfalls voraussetzt, dass eine Schlechtleistung bereits erfolgt ist, was in Ihrer Hypothese nicht der Fall ist.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm