Grundkurs: 20090 Grundkurs Privatrecht II (SoSe23)
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Grundkurs: 20090 Grundkurs Privatrecht II - Forum

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

mir haben sich im Rahmen einer Falllösung zwei Fragen zu einem möglichen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 241 II BGB ergeben: 

Wenn der Käufer (K) einer Sache dem Verkäufer (V) vorsätzlich die Reifen von dessen Auto (auf der Straße geparkt) aufschlitzt, weil dieser ihn mehrmals zur Zahlung des zuvor gestundeten Kaufpreises auffordert, dann kann hierin mE eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus § 241 II BGB und damit ein begründeter Anspruch auf Ersatz für die Reparaturkosten nach §§ 280 I, 241 II BGB gesehen werden. Die Lösung des Falles sieht dagegen mangels ausreichenden Zusammenhangs des Vorfalls zum Schuldverhältnis ausdrücklich keine Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des V gem. § 241 II BGB vor. 

Deshalb folgende Fragen:

1. Kann in einem solchen Fall eine Verletzung von Pflichten aus § 241 II BGB bejaht werden?

2. In welcher Nähe muss eine Verletzung eines Rechtsguts des Vertragspartners zu dem Schuldverhältnis stehen? 


Vielen Dank schonmal im Voraus für Ihre Antwort!

Mit freundlichen Grüßen

Simon Wetzel

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Simon Wetzel
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Sehr geehrter Herr Wetzel,
vielen Dank für Ihre interessante Frage. Diese bewegt sich in einem Bereich, in dem es keine absoluten Wahrheiten gibt - also gerade da, wo es spannend wird und auf Ihre Argumentation ankommt. Im Kern geht es um die Frage, wann "nur" das Deliktsrecht gilt und wann darüberhinaus die vertragliche Haftung nach §§ 280 I, 241 II BGB in Betracht kommt. Dogmatisch präziser formuliert: Wie weit reicht die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB, und "ab wann" gelten nur noch die deliktsrechlichen Verkehrspflichten, d.h. die zwischen jedermann bestehenden Verhaltenspflichten. Die Extrempunkte sind relativ eindeutig:

  • Besteht überhaupt kein Zusammenhang zwischen Rechtsgutsverletzung und Vertrag (Verkehrsunfall auf der Autobahn - im Zuge der Abwicklung stellt sich heraus, dass beide Unfallgegner zufällig zugleich Vertragspartner in einem völlig anderen Zusammenhang sind), fehlt der Bezug zum vertraglichen Schuldverhältnis. Man kann sagen: Das Verursachen des Unfalls ist kein Ausdruck der Verletzung einer aus dem Schuldverhältnis folgenden - und daher in irgendeiner Weise auf dieses bezogenen - Pflicht zur Rücksichtnahme auf den anderen.
  • Der Gegenpol ist die Rechtsgutsverletzung anlässlich der Vertragsdurchführung.
Alles dazwischen ist eine Frage Ihrer Argumentation: Gibt es einen begründbaren inneren oder äußeren Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis? Orientieren können Sie sich bei der Argumentation an der teleologischen Fundierung der Rücksichtnahmepflichten, der freiwilligen und durch das (vorvertragliche oder vertragliche) Schuldverhältnis bedingten Exposition der eigenen Rechtsgüter und Interessen (ableitbar aus § 311 II Nr. 2 BGB). Besteht ein Zusammenhang zwischen dieser Rechtsgutsexposition und der Verletzung, dann sind wir im Bereich des § 241 II BGB. Alles weitere ist Argumetationssache :-)

Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm
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Prof. Dr. Thomas Riehm
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