Grundkurs: 20090 Grundkurs Privatrecht II (SoSe23)
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Grundkurs: 20090 Grundkurs Privatrecht II - Forum

Anonym 18.07.2023, 21:34
AGB

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

gibt es eine Faustformel, nach der man bestimmen kann, ob eine Normvorschrift durch AGB abbedungen werden kann oder nicht, wie kann ich dies aus dem Gesetz lesen ?

§401 BGB kann beispielsweise abbedungen werden, weil er dispositiv ist, aber wie kann ich das aus dem Gesetz ziehen ?

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

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Anonym

Guten Abend,
vielen Dank für Ihre Frage, die tatsächlich sehr weit führt.
Zunächst zur Richtigstellung einer Prämisse: Nicht jede Vorschrift, die dispositiv ist, kann in AGB abbedungen werden. Umgekehrt gilt: Wenn eine Vorschrift nicht dispositiv ist, geht überhaupt keine Abbedingung, weder in AGB noch in einer individualvertraglichen Regelung. Eine AGB-Kontrolle ist also ohnehin nur dann relevant, wenn die Vorschrift, von der abgewichen wird, dispositiv ist - eine Abweichung von zwingenden Vorschriften ist immer schon automatisch unwirksam (vgl. etwa die Formulierung von § 312m I 1 BGB, um ein willkürliches Beispiel zu geben).
Die dispositiven Vorschriften sind sodann zu unterteilen in solche, die "AGB-fest" sind, also nur in Individualverträgen abbedungen werden können, und solchen, die auch in AGB abbedungen werden können.
Die "AGB-Festigkeit" ist in § 307 II Nr. 1 BGB geregelt: Alle Normen, die die "wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung" zum Ausdruck bringen, können durch AGB nicht abbedungen werden, denn alle Klauseln, die von diesen Grundgedanken abweichen sind, sind in der Regel gem. § 307 II Nr. 1 BGB unwirksam. Ergänzen können Sie noch die Vorschriften, die durch explizite Klauselverbote geschützt sind (zB Teile des Kaufgewährleistungsrechts durch § 309 Nr. 8 b BGB).
Also stellt sich für eine konkrete zu prüfende Klausel die Frage,

  • von welcher gesetzlichen Regelung diese abweicht
  • ob diese gesetzliche Regelung einen Grundgedanken zum Ausdruck bringt (zB das Verschuldensprinzip, die typologische Struktur eines Vertrages, ...)
  • ob die Abweichung ganz ausnahmsweise gerechtfertigt werden kann (zB wenn ein angemessener Ausgleich im Vertrag enthalten ist, z.B.: Beim Leasing wird die mietrechtliche Gewährleistung völlig ausgeschlossen - eigentlich ein Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken - aber durch eine Abtretung der kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche gegen den Lieferanten der Sache ersetzt, was die Klausel in der Gesamtschau "rettet" - ist aber alles nicht Stoff des Grundkurses).
Ob eine Vorschrift zu den jeweiligen "Grundgedanken der gesetzlichen Regelung" zählt, ist oft nicht klar - hier zählt dann allein Ihre Argumentation, mit der Sie begründen warum (oder warum nicht) eine Vorschrift die Grundprinzipien eines Rechtsinstituts zum Ausdruck bringt
. Direkt ablesen lässt sich das der einzelnen Vorschrift nicht, sondern nur durch eine systematische Auslegung ermitteln.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm
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Prof. Dr. Thomas Riehm
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