Universität Passau
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Anonym 21.07.2023, 12:06
Dolo agit - Einrede

Sehr geehrter Herr Professor Riehm, 

 

Im Rahmen der Klausurvorbereitung, haben sich für mich ein paar Vertiefungsfragen zur Dolo agit - Einrede ergeben.

  1. Angenommen, Käufer (K) und Verkäufer (V) schließen einen wirksamen Kaufvertrag ab. Zum Fälligkeitstermin der Leistung des V, leistet dieser nicht und K setzt ihm im Anschluss eine angemessene Frist zur Nacherfüllung, die dann fruchtlos abläuft, wobei V diese Nichtleistung auch gem. § 276 I 1 BGB zu vertreten hat. Kurz darauf fordert V den K zur Bewirkung der Gegenleistung (nach vertraglicher Vereinbarung, muss K die Gegenleistung erst nach der Erbringung der Leistung bewirken) auf. Da K seinen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB (noch) nicht geltend gemacht hat bzw. den Rücktritt (§§ 437 Nr. 2, 346 I, 323 I BGB) gem. § 349 BGB (noch) nicht erklärt hat, hätte V immer noch einen (entstandenen) Anspruch auf die Kaufpreiszahlung gem. § 433 II BGB gegen K. Könnte K hier die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 I 1 BGB) erheben? Würde die Dolo agit - Einrede für den obigen Fall auch Anwendung finden?
     
  2. Sollte die Dolo agit - Einrede Gegenstand der Klausur- oder Fallbearbeitung sein, müsste man diese durch teleologischer und systematischer Auslegung des § 242 BGB „vollständig“ herleiten können oder könnte man die Existenz der Dolo agit - Einrede „einfach“ unterstellen und so anwenden, als wäre sie ausdrücklich normiert worden. 

 

Ich bedanke mich im Voraus dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten! 

 

Mit freundlichen Grüßen 

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Anonym
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Guten Tag,
vielen Dank für Ihre spannende Frage.

  1. In Ihrem Beispielsfall hat der K gerade sein "ius variandi", steht also vor der Wahl, ob er am Erfüllunganspruch festhält und diesen ggf. einklagt oder zurücktritt und/oder Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Vorab: Nach dem Wortlaut Ihres Sachverhalts muss der K "die Gegenleistung erst nach der Erbringung der Leistung bewirken" - das würde vorliegend bedeuten, dass die Zahlungspflicht ohnehin noch nicht fällig ist, weil die Leistung des Verkäufers noch nicht erbracht ist. Ansonsten steht Ihm aber, wie Sie richtig annehmen, bereits die Einrede des § 320 I 1 BGB zu, weil die Leistungen im Zweifel Zug um Zug zu erbringen sind bzw. in Ihrem Beispiel sogar der V vorleistungspflichtig war.
    Zu Ihrem Problem kann man eigentlich nur im Gewährleistungsrecht (nicht Gegenstand der Klausur!) kommen, und zwar wenn Ihr Fall so abgewandelt wird, dass V geleistet hat und die Kaufsache unbehebbar mangelhaft ist. Dann scheidet ein Nacherfüllungsanspruch wegen § 275 I BGB aus, sodass § 320 BGB nicht auf die ausgebliebene Nacherfüllung gestützt werden kann. Der Käufer hat nur die Wahl zwischen Minderung und Rücktritt (s. §§ 437 Nr. 2, 326 I 2, V, 323, 441 BGB). Verlangt in dieser Situation der Verkäufer den Kaufpreis, kann man (und sollte man m.E. - es gibt aber auch die Gegenansicht) dem Käufer eine Einrede zumindest in Höhe des Minderungsbetrags gewähren, weil klar ist, dass er diesen in keiner zukünftigen Variante wird zahlen müssen. Andernfalls könnte der Verkäufer den Käufer zwingen, sein Wahlrecht zwischen Minderung und Rücktritt auszuüben, das ihm eigentlich gem. §§ 438, 218 BGB während der gesamten Verjährungsfrist zusteht. Die Gegenauffassung stellt eher das Interesse des Verkäufers an baldiger Rechtsklarheit in den Vordergrund und lehnt daher eine solche Einrede ab. Es ist allerdings nicht ganz die dolo agit-Einrede, weil der geleistete Betrag in diesem Fall nicht umgehend zurückzuerstatten wäre, sondern erst nach der Ausübung des entsprechenden Gestaltungsrechts durch den Käufer. Man kann die Einrede aber trotzdem auf § 242 BGB stützen und mit dem Schutz des ius variandi begründen, weil es treuwidrig wäre, wenn der Verkäufer durch sein Zahlungsverlangen das ius variandi faktisch beenden, d.h. den Käufer zu einer Wahl zwingen könnte.
  2. Die dolo-agit-Einrede ist so fest gewohnheitsrechtlich verankert, dass sie nicht gesondert hergeleitet werden muss. Es ist aber natürlich immer schön, zumindest den einen Satz zu lesen, dass es treuwidrig und aus Sicht der Gesamtrechtsordnung auch sinnlos wäre, eine Leistung zu verlangen, die unmittelbar wieder zurückerstattet werden müsse.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm
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