Universität Passau
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Anonym 27.01.2022, 17:10
§ 280 I BGB

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

ich tue mich immer noch etwas schwer damit, zu verstehen, wann genau man den "§ 280 I BGB" alleine (also ohne Abs. 2 oder Abs. 3 oder ohne § 241 II BGB) zitiert/verwendet? Man liest ja oft die Anspruchsgrundlage "§§ 280 I, 675 BGB" oder "§§ 280 I, 631 BGB". Ist damit dann immer ein Fall des § 241 II BGB gemeint? Bei welcher Art von Pflichtverletzung würde man als Anspruchsgrundlage lediglich den § 280 I BGB (ohne Abs. 2 oder Abs. 3 oder ohne § 241 II BGB) annehmen?

Entschuldigen Sie bitte diese einfache Frage, aber ich bin meiner Recherche dazu bei BeckOnline leider auch nicht weitergekommen - es hat mich eher noch etwas mehr verwirrt.

Freundliche Grüße und vielen Dank im Voraus!

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Anonym
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Guten Abend,
und vielen Dank für Ihre interessante Frage! Bei ganz genauer Betrachtung kann es § 280 I BGB eigentlich nie alleine geben - die Norm setzt ja eine Pflichtverletzung voraus, und üblicherweise zitiert man die verletzte Pflicht, wenn sie eine gesetzliche Grundlage hat, mit in der Anspruchsgrundlage. Das gilt für vertragliche und vorvertragliche Rücksichtnahmepflichten aus § 241 II BGB (ggfs. iVm § 311 II BGB), aber auch in Fällen, in denen, wie bei § 611 BGB oder auch § 677 I BGB, die Hauptleistungspflicht selbst (durch Schlechtleistung) verletzt wurde.
Beim gewährleistungsrechtlichen Schadensersatz ("Mangelfolgeschaden") hat es sich eingebürgert, die verletzte Pflicht (genaugenommen wäre das § 433 I 2, ggfs. zusammen mit § 434 BGB, bzw. beim Werkvertrag § 633 I, II BGB) nicht gesondert zu zitieren, sondern stattdessen § 437 Nr. 3 bzw. § 634 Nr. 4 BGB mit zu zitieren. Aus diesen Vorschriften ergibt sich die verletzte Pflicht implizit, weil die genannten Verweisungsnormen einen Mangel und damit die Pflichtverletzung selbst voraussetzen.
Damit kann es im Ergebnis eigentlich keinen Fall geben, in welchem man § 280 I BGB "ganz alleine" als Anspruchsgrundlage zitiert - irgendeine andere Norm mit Hinweis auf die verletzte Pflicht gibt es immer.
Der Unterschied zwischen § 280 I einerseits und § 280 I, III, 281/282/283 BGB oder § 280 I, II, 286 BGB andererseits ist ein anderer, der nichts mit der verletzten Pflicht zu tun hat (bei § 280 I, III, 282 BGB ist die verletzte Pflicht zB die gleiche Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB wie beim Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB). Vielmehr geht es doch um die Unterscheidung der verschiedenen Schadenskategorien - bei § 280 I, III, x BGB Schadensersatz statt der Leistung, bei § 280 I, II, 286 BGB Verzögerungsschaden und bei § 280 I, x BGB sonstige Schäden. Aber ich nehme an, darauf war Ihre Frage gar nicht gerichtet.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
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Anonym 27.01.2022, 21:15

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

vielen lieben Dank für Ihre ausführliche, sehr hilfreiche Antwort!

Habe ich es in der Literatur richtig verstanden, dass der Fall der "Schlechtleistung" des § 281 BGB nur im Kauf- und Werkvertragsrecht zur Anwendung kommt? Also blendet man bei den anderen vertraglichen Schuldverhältnissen aus, dass der § 281 BGB sich nach dem Wortlaut auch auf "Schlechtleistung" bezieht?

Freundliche Grüße und vielen Dank noch einmal!

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Anonym
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Guten Abend,
die Beschränkung der Schlechtleistung in § 281 I BGB auf Kauf- und Werkverträge trifft in der Sache den Kern ganz gut - aber so richtig zugeben wird das wohl niemand. Zum einen gibt es auch kauf- und werkvertragsähnliche typenfremde Verträge, auf die § 281 I BGB auch im Falle der Schlechtleistung anwendbar ist, das dürfte unbestritten sein. Generell kann man sagen, dass es für die Anwendbarkeit des § 281 BGB darauf ankommt, ob es einen Nacherfüllungsanspruch gibt - auf den würde sich in der Variante der Schlechtleistung ja die Fristsetzung beziehen. Den gibt es sicher im Kauf- und Werkvertragsrecht, neuerdings auch bei den Verträgen über digitale Produkte (§§ 327i Nr. 1, 327l BGB), die ja so ziemlich allen Vertragtypen unterliegen können (dort ist § 281 BGB in der Variante der Schlechtleistung aber wohl durch § 327m III BGB verdrängt, das ist aber nicht 100%ig sicher). Beim Dienstvertrag ist das umstritten - bei der Schlechtleistung (falls es die überhaupt geben sollte, was ebenfalls umstritten ist) noch mehr als bei der Nichtleistung. Wenn man einen Nachleistungsanspruch bei einem schlecht erfüllten Dienstvertrag annehmen sollte, wäre auch § 281 I BGB anzuwenden - aber eben nur dann.
Die Beschränkung auf Kauf- und Werkverträge ist mit anderen Worten keine, die in § 281 I 1 Alt. 2 BGB angelegt ist, sondern eine, die aus der Ausgestaltung der übrigen Vertragstypen folgt: Wo es keinen Nacherfüllungsanspruch bei Schlechtleistung gibt, kann § 281 I 1 Alt. 2 BGB strukturell nicht zur Anwendung kommen.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
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