Universität Passau
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Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

 

da mir die Lösung der Probeklausur vom 17.01.2023 leider noch etwas schleierhaft ist, möchte ich mich nun auf diesem Wege an Sie wenden, um mich zu erkundigen, wie ich den Eigenschaftsirrtum nach § 119 II BGB vom unbeachtlichen Kalkulationsirrtum abgrenzen kann.

 

Laut Sachverhalt hat sich Makler M nämlich nicht verrechnet, sondern den Betrag der Wertverbesserungszuschläge in Höhe von 750 EUR schlichtweg nicht berücksichtigt.

Allerdings hat er diesen Posten augenscheinlich nicht vergessen, sondern war sich scheinbar nicht darüber im Klaren, dass die Wertverbesserungszuschläge gleichfalls Mieterträge darstellen.

So besteht in meinen Augen eigentlich kein Fehler im konkreten Kalkulationsvorgang, sondern vielmehr ein Irrtum über die Existenz eines wertbildenden Faktors für den Wert des Grundstücks.

Damit hätte ich schließlich bejaht, dass sich M über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Grundstücks geirrt hat und damit ein rechtlich relevanter Eigenschaftsirrtum gem. § 119 II BGB besteht.

Worin genau besteht mein Denkfehler?

 

 

Vielen Dank im Voraus!

 

Mit freundlichen Grüßen

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Anonym
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Guten Tag,
vielen Dank für Ihre Frage! Die Antwort ist vielleicht leichter, wenn man den "unbeachtlichen Kalkulationsirrtum" nicht als eigenständige rechtliche Kategorie versteht, sondern - da er gesetzlich nicht geregelt ist - schlicht als Namen für das, was übrigbleibt, wenn keiner der Anfechtungsgründe des BGB einschlägig ist (und es irgendwie mit der Berechnung des Preises zu tun hat). Die Frage reduziert sich dann nämlich darauf, ob ein Eigenschaftsirrtum vorliegt oder nicht.
Ein Eigenschaftsirrtum bezieht sich, wie der Wortlaut von § 119 II BGB sagt, auf "Eigenschaften der Person oder der Sache". Eigenschaften in diesem Sinne sind zunächst alle Merkmale, die der Sache anhaften (verstanden als die physischen Eigenschaften wie Materialbeschaffenheit, Größe etc.). Nach der Rspr. fallen hierunter auch "solche tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, deren Beschaffenheit und Dauer die Brauchbarkeit und den Wert beeinflussen." Hierfür hat sich die Kurzformel "Alle wertbildenden Faktoren, nicht aber der Wert selbst" eingebürgert.
Auch diese Formel lässt sich aber nur vor dem Hintergrund des Normzwecks verstehen bzw. konkretisieren. Zweck des § 119 II BGB ist, einerseits einen bestimmten Fall des Motivirrtums - eben den, bei dem es um eine "Fehlvorstellung von der Sache selbst" geht - zum Anfechtungsgrund zu erheben, andererseits aber auszuschließen, dass man im Anschluss an ein Geschäft "einfach so" behauptet, man hätte gerne mehr verlangt (Verkäufer) oder weniger bezahlt (Käufer), ohne dass es dafür einen Grund in einem Irrtum über die Sache selbst gäbe.
Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass die Lösung des Falles deutlicher wird: Ob die Wertverbesserungszuschläge in die Berechnung des Kaufpreises einfließen oder nicht, hat mit der Sache selbst nichts zu tun; es ist nur eine Frage der Wertermittlung, die aber unabhängig von der Beschaffenheit der Sache selbst war. Der Makler war sich aller Eigenschaften der Sache vollständig bewusst und hat sich hierüber nicht geirrt. Nur über die Methode, wie er aus den (bekannten) Sacheigenschaften einen angemessenen Kaufpreis ermittelt, hat er sich geirrt. Das ist gerade kein Eigenschaftsirrtum, sondern - im Sinne der Kurzformel - ein Irrtum über den Wert selbst (bzw. die Wertermittlungsmethode).
Das ist aus rechtlicher Sicht das wichtige Ergebnis: Es liegt kein Eigenschaftsirrtum (und auch sonst kein Irrtum der §§ 119 f. BGB) vor, damit scheidet eine Anfechtung aus. Das kann man dann "unbeachtlichen Kalkulationsirrtum" nennen - damit ist aber keine besondere Rechtsfolge verbunden.
Ich hoffe, das klärt Ihre Frage.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

 

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riehm01
Offline Prof. Dr. Thomas Riehm
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