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Anonym 17.01.2023, 19:04
Stellvertretung

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

ich habe noch Fragen zur Stellvertretung: 

1) Können Sie mir bitte erklären, wie ich den §173 BGB zu verstehen habe ?

2) Außerdem habe ich in einem Lehrbuch  gefunden, dass sich aus §173 BGB analog ableiten lässt, dass wenn es um einen Duldungsvollmacht geht, der Vertragspartner das Fehlen einer Vollmacht nicht kennt und es auch nicht kennen muss. Wie darf ich das nicht kennen müssen und nicht kennen hier verstehen ?
Ein ähnliches Verständnisproblem ergibt sich mir, wenn es heißt, dass eine Duldungsvollmacht (oder auch Anscheinsvollmacht) nicht in Betracht kommt, wenn eine dem Vertreter erteilte Vollmacht nichtig war und der Vertretene dies nicht wusste oder hätte wissen müssen ?
Mir ist in beiden Fällen klar, dass es sich um die Gutgläubigkeit handelt, dennoch habe ich die Bitte, ob Sie mir erklären können, wie ich diese Konstellationen zu verstehen habe ?

Darüber hinaus habe ich noch allgemeinere Fragen:

3) Was ist der Unterschied zwischen Vertrag nichtig (§108 BGB) und Willenserklärung nichtig (§107 BGB) ? 

4) Gibt es einen Unterschied zwischen nichtig und unwirksam ? Wenn ja, könnten Sie mir diesen Unterschied bitte noch einmal erklären ?

Schon im Voraus ein herzliches Dankeschön für die Beantwortung !!
Mit freundlichen Grüßen

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Anonym
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Guten Tag,
vielen Dank für Ihre Fragen - ich werde sie unten inline beantworten.

 

 

Anonym hat geschrieben:

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

ich habe noch Fragen zur Stellvertretung: 

1) Können Sie mir bitte erklären, wie ich den §173 BGB zu verstehen habe ?

Das ist so abstrakt etwas schwierig - was genau ist Ihre Frage zu der Norm?
Die grundsätzliche Funktion von § 173 BGB ist, dass das Bestehen einer der Rechtsscheinvollmachten nach §§ 170-172 BGB vom Geschäftspartner nicht geltend gemacht werden kann, wenn dieser "bösgläubig" war, also entweder wusste, dass in Wahrheit keine Vollmacht (mehr) bestand oder dies zumindest hätte wissen müssen (Kennenmüssen definiert in § 122 II BGB), also bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 II BGB) gewusst hätte.


2) Außerdem habe ich in einem Lehrbuch  gefunden, dass sich aus §173 BGB analog ableiten lässt, dass wenn es um einen Duldungsvollmacht geht, der Vertragspartner das Fehlen einer Vollmacht nicht kennt und es auch nicht kennen muss. Wie darf ich das nicht kennen müssen und nicht kennen hier verstehen ?
Ein ähnliches Verständnisproblem ergibt sich mir, wenn es heißt, dass eine Duldungsvollmacht (oder auch Anscheinsvollmacht) nicht in Betracht kommt, wenn eine dem Vertreter erteilte Vollmacht nichtig war und der Vertretene dies nicht wusste oder hätte wissen müssen ?

Auch die Duldungsvollmacht ist eine Rechtsscheinsvollmacht, wie diejenigen der §§ 170-172 BGB. Das bedeutet, dass in Wahrheit gar keine Vollmacht besteht, der Geschäftspartner aber in seinem guten Glauben an das Bestehen einer Vollmacht geschützt wird. Wenn der Geschäftspartner also positiv weiß, dass es keine Vollmacht gibt, kann er sich auch nicht darauf berufen, dass äußerlich der Rechtsschein einer Vollmacht bestand. Das ""Wissen müssen" ist in § 122 II BGB definiert und bedeutet, dass die Unkenntnis des Geschäftspartners vom Fehlen der Vollmacht auf Fahrlässigkeit beruht, oder anders formuliert: Dass der Geschäftspartner das Fehlen einer Vollmacht erkannt hätte, wenn er nicht fahrlässig gewesen wäre, also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hätte. Das kann etwa der Fall sein, wenn deutliche Anhaltspunkte für das Fehlen der Vollmacht bestehen (zB: frühere Vertriebsmitarbeiter der Firma A fährt mit Firmenwagen der konkurrierenden Firma B vor, schließt aber noch einen Vertrag für Firma A - hier muss der Geschäftspartner misstrauisch werden, ob die Vollmacht zugunsten der Firma A noch besteht).


Mir ist in beiden Fällen klar, dass es sich um die Gutgläubigkeit handelt, dennoch habe ich die Bitte, ob Sie mir erklären können, wie ich diese Konstellationen zu verstehen habe ?

Darüber hinaus habe ich noch allgemeinere Fragen:

3) Was ist der Unterschied zwischen Vertrag nichtig (§108 BGB) und Willenserklärung nichtig (§107 BGB) ? 
 

§ 107 BGB betrifft auch einseitige Rechtsgeschäfte (zB Kündigung), und bezieht sich daher nur auf die Willenserklärung des Minderjährigen selbst. § 108 BGB gilt nur für Verträge, weil für einseitige Rechtsgeschäfte die Sonderregelung des § 111 BGB besteht.


4) Gibt es einen Unterschied zwischen nichtig und unwirksam ? Wenn ja, könnten Sie mir diesen Unterschied bitte noch einmal erklären ?
 

Die Begriffe "nichtig" und "unwirksam" werden im BGB und im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch meistens synonym gebraucht. Gemeint ist jeweils, dass aus einer Erklärung keine Rechtswirkungen hergeleitet werden. Manche Autoren wollen aber auch einen Unterschied zwischen beiden Kategorien finden. Am besten verwenden Sie jeweils immer diejenige Terminologie, die als gesetzliche Rechtsfolge in der von Ihnen geprüften Norm enthalten ist.


Schon im Voraus ein herzliches Dankeschön für die Beantwortung !!
Mit freundlichen Grüßen

Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
Offline Prof. Dr. Thomas Riehm
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