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Anonym 07.02.2023, 17:14
Zugang einer Willenserklärung

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

ich habe noch ein paar Verständnisfragen zum Zugang, die sich mir jetzt ergeben haben: 

im Rahmen einer Übung kam zur Sprache, dass man mit §177 I BGB die Prüfung der passiven Stellvertretung beim Zugang umgehen kann. Ich bin daher jetzt etwas verwirrt. Muss man beim Zugang also immer die passive Stellvertretung prüfen, oder kann man sich einfach auf §177 I BGB berufen ? Oder kann man sich nur auf §177 I BGB berufen, wenn die Vertretungsmacht fehlt und daher der Vertrag genehmigt werden muss, und dies dann erst beim Vertrag geschieht und nicht bei den einzelne Willenserklärungen und somit die Frage nach dem Zugang irrelevant ist, weil der gesamte Vertrag steht und fällt ?

2) Wenn man die passive Stellvertretung prüft, muss man dann bei der aktiven Stellvertretung im späteren Verlauf des Gutachtens auch nocheinmal alles herunterprüfen oder kann man auf die passive Stellvertretung nach oben verweisen ?

3) Wenn der Zugang einer Willenserklärung gegenüber einem Minderjährigen von dem Zugang bei den Eltern abhängt und somit diese WE des Anderen schwebend unwirksam ist, wird dann diese WE auch gleichzeitig durch Genehmigung des Vertrages durch die Eltern wirksam ?

4) Eltern können ja nur gemeinsam ein Geschäft genehmigen, bezieht sich das auch auf §131 I BGB, dass es bei beiden Eltern zugehen muss ? Ich meine mich erinnern zu können, dass der Zugang bei einem Elternteil hier ausreicht, allerdings weiß ich nicht woraus man das ziehen kann ?

Und noch eine Frage zum Eigenschaftsirrtum:
5) Ist es beim Eigenschaftsirrtum wirklich egal, ob der Irrtum bei Abgabe, davor oder danach war, weil das "bei" ja nur im §119 I BGB steht ? 

Ich bedanke mich schon jetzt sehr herzlich für ihre Antwort

Mit freundlichen Grüßen
 

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Anonym
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Guten Abend,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ich unten im jeweiligen Zusammenhang beanworte:
Anonym hat geschrieben:

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

ich habe noch ein paar Verständnisfragen zum Zugang, die sich mir jetzt ergeben haben: 

im Rahmen einer Übung kam zur Sprache, dass man mit §177 I BGB die Prüfung der passiven Stellvertretung beim Zugang umgehen kann. Ich bin daher jetzt etwas verwirrt. Muss man beim Zugang also immer die passive Stellvertretung prüfen, oder kann man sich einfach auf §177 I BGB berufen ? Oder kann man sich nur auf §177 I BGB berufen, wenn die Vertretungsmacht fehlt und daher der Vertrag genehmigt werden muss, und dies dann erst beim Vertrag geschieht und nicht bei den einzelne Willenserklärungen und somit die Frage nach dem Zugang irrelevant ist, weil der gesamte Vertrag steht und fällt ?
 

"Umgehen" würde ich die Prüfung der passiven Stellvertretung nie - immerhin gibt es auch dort Punkte einzusammeln (s. etwa die Lösungsskizze der Probeklausur). § 177 I BGB löst nur das praktische Problem, das bei fehlender Vertretungsmacht (und nur dort!) auftritt, dass nämlich der Zugang der Willenseklärung beim Stellvertreter mangels Vertretungsmacht nicht zur Wirksamkeit der Erklärung führt und man daher eigentlich schon gar keine wirksame Willenserklärung hat. Das kann man ansprechen und dahinstehen lassen, weil die Genehmigung nach § 177 I BGB zur Wirksamkeit des gesamten Rechtsgeschäfts für und gegen den Vertretenen führt.
Ansonsten gilt, wenn ein Stellvertreter beteiligt ist: Sie müssen beim Vertragsschluss immer auch den Zugang der Willenserklärung des Geschäftspartners prüfen, und der setzt entweder (passive) Vertretungsmacht des Vertreters (=Empfangsvertretung) oder den Zugang der Erklärung beim Geschäftsherrn voraus. § 177 I BGB prüfen Sie nur, wenn tatsächlich keine Vertretungsmacht bestand und (noch) kein Zugang der Erklärung beim Geschäftsherrn erfolgt war.

2) Wenn man die passive Stellvertretung prüft, muss man dann bei der aktiven Stellvertretung im späteren Verlauf des Gutachtens auch nocheinmal alles herunterprüfen oder kann man auf die passive Stellvertretung nach oben verweisen ?
 

Klausurästhetisch empfiehlt es sich häufig, zuerst die aktive Stellvertretung zu prüfen, und dann die Willenserklärung des Geschäftspartners (mit der passiven Stellvertretung, wo Sie dann an vielen Stellen nach oben verweisen können). Wenn aber die Chronologie der Erklärungen im Sachverhalt eine andere ist, also das Angebot vom Geschäftspartner stammte, dann kommen Sie nicht umhin, zuerst die passive Stellvertretung zu prüfen und erst danach die aktive, wobei Sie auch hier die einzelnen Voraussetzungen erwähnen und nach oben verweisen, soweit Sie die dort schon behandelt haben (die "eigene WE" prüfen Sie dort aber zB nicht, müssen sie also erstmals bei der aktiven Stellvertretung ansprechen).

3) Wenn der Zugang einer Willenserklärung gegenüber einem Minderjährigen von dem Zugang bei den Eltern abhängt und somit diese WE des Anderen schwebend unwirksam ist, wird dann diese WE auch gleichzeitig durch Genehmigung des Vertrages durch die Eltern wirksam ?
 

Exakt so ist es.

4) Eltern können ja nur gemeinsam ein Geschäft genehmigen, bezieht sich das auch auf §131 I BGB, dass es bei beiden Eltern zugehen muss ? Ich meine mich erinnern zu können, dass der Zugang bei einem Elternteil hier ausreicht, allerdings weiß ich nicht woraus man das ziehen kann ?
 

Ihre Erinnerung stimmt - das ergibt sich aus § 1629 I 1 Hs. 2 BGB (den ich daher an den Rand von § 131 BGB kommentieren würde).

Und noch eine Frage zum Eigenschaftsirrtum:
5) Ist es beim Eigenschaftsirrtum wirklich egal, ob der Irrtum bei Abgabe, davor oder danach war, weil das "bei" ja nur im §119 I BGB steht ? 

Nein, es ist nicht egal - § 119 II BGB stellt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut ja nur den Eigenschaftsirrtum dem Inhaltsirrtum gleich; die übrigen Voraussetzungen der Anfechtung wegen Inhaltsirrtums bleiben die gleichen, also auch der Zeitpunkt des Irrtums "bei Abgabe".


Ich bedanke mich schon jetzt sehr herzlich für ihre Antwort

Mit freundlichen Grüßen
 

Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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Prof. Dr. Thomas Riehm
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