Universität Passau
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Anonym 25.07.2023, 14:24
Bezugspunkt beim Vertretenmüssen

Sehr geehrter Herr Professor Riehm,

mir haben sich noch Fragen bzgl. des Bezugspunktes beim Vertretenmüssen aufgetan. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diese Fragen noch beantworten können.

Die h.M. geht ja von der doppelten Pflichtverletzung aus, also einmal vertreten müssen, immer vertreten müssen.
Habe ich es grundsätzlich richtig verstanden, dass bei der Lehre der einheitlichen Pflichtverletzung die Nichtleistung bei Fristablauf zählt und hierbei wichtig ist, dass der Schuldner ab Fälligkeit aber gemäß dem Grundsatz des §287 BGB auch Zufall zu vertreten hat.
Es gibt dann noch eine dritten Ansicht, die dieselben Argumente wie die Lehre der einheitlichen Pflichtverletzung hat, was allerdings ist dann der Unterschied, muss ich dann die Lehre der einheitlichen Pflichtverletzung anders darstellen, denn die dritte Ansicht stellt deutlich auf das Vertretenmüssen der Nichtlieferung bei Fälligkeit ab ?

Wieso gibt es bei der doppelten Pflichtverletzung nun keinen Raum für §287 S. 2 BGB ? Dies erschließt sich mir noch nicht ganz.


Vielen Dank schon im Voraus für eine Antwort !

Ich wünsche Ihnen schöne Semesterferien !
Mit freundlichen Grüßen

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Anonym
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Guten Tag,
vielen Dank für Ihre Frage. In den Prämissen Ihrer Frage finden sich allerdings Missverständnisse, die am besten zuerst aufgeklärt werden sollten:

  • Die Lehre von der doppelten Pflichtverletzung ist nicht gleichbedeutend mit "einmal Vertretenmüssen, immer Vertretenmüssen". Die Abgrenzung zwischen beiden Lehren (doppelte und einheitliche Pflichtverletzung) betrifft zunächst eine dogmatische Vorfrage: Ist die Nicht-Nacherfüllung bzw. Nichtleistung bei Fristablauf tatsächlich eine eigenständige Pflichtverletzung neben der Pflichtverletzung "Nicht- bzw. Schlechtleistung bei Fälligkeit"? Zu dieser Frage erlaube ich mir ein Verweis auf meine einschlägige Kommentierung zu § 280 BGB (Rn. 119 ff., speziell Rn. 124) im BeckOGK.
  • Die Lehre von der einheitlichen Pflichtverletzung sieht das gesamte Leistungsdefizit von Fälligkeit bis Fristablauf als eine Pflichtverletzung an, sodass sich das Vertretenmüssen iRv § 281 BGB schlicht insgesamt darauf beziehen muss, dass bei Fristablauf das Defizit noch besteht. Der Maßstab des Vertretenmüssens (also die Sorgfaltspflichten des Schuldners) verändern sich in diesem Zeitraum potenziell, zB wenn der Schuldner von einem Leistungsdefizit erfährt. Auf § 287 S. 2 BGB kommt es dann nicht an; allenfalls der Rechtsgedanke dieser Vorschrift kann für Kausalitätserwägungen herangezogen werden.
  • Die Lehre von der doppelten Pflichtverletzung bietet zwei verschiedene mögliche Ansatzpunkte für das Vertretenmüssen: Die anfängliche Nicht/Schlechtleistung und die Nichtbehebung des Defizits bis Fristablauf. Innerhalb dieser Lehre ist dann wiederum umstritten, ob es auch im Rahmen von § 281 BGB genügt, wenn der Schuldner eine der beiden Pflichtverletzungen zu vertreten hat, oder ob es nur auf die zweite ankommt. Nimmt man letzteres an, stellt sich die weitere Frage, ob ein etwaiges Vertretenmüssen der ersten Pflichtverletzung zumindest nach dem Gedanken des § 287 S. 2 BGB fortwirkt, oder ob das Vertretenmüssen der zweiten Pflichtverletzung ganz unabhängig von der ersten Pflichtverletzung zu prüfen ist. Insoweit ist beI der Lehre von der doppelten Pflichtverletzung durchaus Raum für § 287 S. 2 BGB - nicht dagegen bei der Lehre von der einheitlichen Pflichtverletzung.
Ich hoffe, die Antwort - und v.a. die oben zitierte Kommentierung der Problematik - bringt etwas Klarheit in diese verworrene Frage.

Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm
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riehm01
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