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Sehr geehrter Herr Professor Riehm, 

ich melde mich bzgl. einiger Fragen zu den im Titel genannten Fragestellungen. Gesetzt wir haben folgenden Fall (ausgedacht): Der V betreibt einen Online-Shop für alte Münzen. Interessenten können nach Durchsicht der Bilder einen Preis eintippen, der Ihnen angemessen erscheint und der V entscheidet sich dann, welches Angebot er annimmt. 

Der K möchte eine Münze (Marktwert 8 EUR) erwerben. Er hält einen Preis für 10 EUR für angemessen, tippt jedoch versehentlich 20 EUR ein. Der V sendet dem K daraufhin die Münze per Post (Portokosten: 5 EUR).
Der K wollte die Münze erwerben, um sie an den D zu verkaufen. Sie hatten schon einen Preis vereinbart i.H.v. 15 Euro. 
Auf dem Weg zum D fällt dem K die Tüte, in der die Münzen geliefert wurden, aus der Tasche. Als er es später danach sucht, ist sie unauffindbar verschwunden. 

Kurz darauf bemerkt der K seinen Irrtum und ficht seine Erklärung an. Hat der V gegen den K ein Anspruch auf Rückübereignung und Rückübertragung des Besitzes an der Münze, hilfsweise Wertersatz?

Meine Gedanken dazu: 
§ 985 scheidet ja hier aus, der V ist auch nach der Anfechtung wegen des Abstraktionsprinzips nicht wieder Eigentümer und der K ja auch nicht mehr Besitzer, wenn ihm die Sache abhanden kommt. 

§ 812 I 1 Alt. 1 würde ja grundsätzlich funktionieren: Der K hat durch Leistung des V Besitz und Eigentum an der Münze erlangt, durch die wirksame Anfechtung aufgrund eines Erklärungsirrtums ist der Kaufvertrag nach § 142 I i.V.m. § 119 I Alt. 2 nichtig und das Erlangte wurde ohne Rechtsgrund erlangt. Jedoch scheitert in diesem Fall die Leistungskondiktion an § 818 III, da der K nicht mehr bereichert ist, das Erlangte iSd § 812 ist schließlich untergegangen. Eine verschärfte Haftung nach §§ 819, 820 liegt ebenfalls nicht vor. 
Aus § 812 I Alt. 1 kann der V also keine Ansprüche geltend machen. 

Nun könnte der V ja ebenfalls einen SE-Anspruch aus § 122 I ggb. dem K geltend machen. Den V trifft auch kein Verschulden i.S.d. § 122 II. Er muss also so gestellt werden, wie er gestanden wäre, wenn er auf die Erklärung des K nicht vertraut hätte. In diesem Fall wäre es nicht zu einem wirksamen Kaufvertrag gekommen und er hätte infolgedessen auch nicht nach § 362 I die Pflicht aus dem Kaufvertrag zur Übergabe und Übereignung nach § 433 I 1 erfüllt. Wenn er also auf die Gültigkeit der Erklärung nicht vertraut hätte, wäre es nicht zu einer Übergabe und Übereignung gekommen. Folglich kann der V aus § 122 Rückübertragung des Besitzes sowie Rückübereignung fordern. 

Diese SE-Schuld kann jedoch der K gem. § 275 I nicht erfüllen, die Sache ist ja abhanden gekommen. Eine Naturalrestitution ist folglich ausgeschlossen, nach § 251 I Alt. 1 kann der V also vom K eine Entschädigung in Geld verlangen. Ein Entreicherungseinwand des K ist im Schadensersatzrecht - so glaube ich - nicht vorgesehen.
 

Zu den Fragen: 
1. Wie wird in diesem Fall Vertrauensschaden und Erfüllungsinteresse berechenet? Welche Posten sind abzugsfähig (v.a. Porto)? Was ist der Umfang des Schadenersatzes? 

2. Ist ein Anspruch auf Rückübertragung von Besitz und Rückübereignung überhaupt im Rahmen von § 122 zulässig? Kann man über den Weg des "Nicht-Vertrauens" auf ein Verpflichtungsgeschäft, anlässlich dessen ein Verfügungsgeschäft als erfüllende Leistung durchgeführt wurde, die Rückabwicklung des Verfügungsgeschäfts erwirken? Ist das nicht ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip - das Verfügungsgeschäft ist ja schließlich von der Anfechtung wegen des Minimalkonsenses gar nicht betroffen. 

3. (Wieso) sind die §§ 250 ff. überhaupt auf den SE-Anspruch des § 122 anwendbar? § 249 I lieferte, wenn man ihn auf § 122 I anwenden würde, gerade keine sinnvolle Rechtsfolge: Denn wenn der Geschädigte so zu stellen ist, wie wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand (Unwirksamkeit infolge Anfechtung) nicht eingetreten wäre, wäre er so zu stellen, wie wenn die Anfechtung nie eingetreten und damit der Vertrag wirksam erfüllt worden wäre. Das gesamte Anfechtungsrecht wäre ausgehebelt, da es immer ins Leere laufen würde. 

4. Angenommen der K würde die Münze nicht verlieren und dem D verkaufen und veräußern. Die Anfechtung richtet sich ja nur gegen den Kaufvertrag, die Verfügung bliebe wirksam, der D hätte also "ganz normal" vom berechtigten K Eigentum erworben. Wäre der K in diesem Fall auch "entreichert" iSd § 818 III und der V könnte nur über § 122 i.V.m. § 285 I die Herausgabe des Veräußerungserlöses verlangen oder wäre das "schon" ein Fall von § 818 II? 


Ich freue mich über Ihre Antwort!


Freundliche Grüße

Lukas Gollwitzer
 

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gollwi03
Lukas Gollwitzer
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Sehr geehrter Herr Gollwitzer,
vielen Dank für Ihre scharfsinnigen Fragen. Ihre Ausgangsüberlegungen halte ich (fast) alle für zutreffend, daher beschränke ich mich auf Ihre Fragen:
 

Lukas Gollwitzer hat geschrieben:

1. Wie wird in diesem Fall Vertrauensschaden und Erfüllungsinteresse berechenet? Welche Posten sind abzugsfähig (v.a. Porto)? Was ist der Umfang des Schadenersatzes? 

Der Vertrauensschaden ist in dem von Ihnen gebildeten Fall tatsächlich der Wert der Münze (s. sogleich bei Ihrer Frage 3), zuzüglich des Portos: V ist tatsächlich so zu stellen, als hätte er von dem Vertrag mit K nie gehört - und dann hätte er die Münze noch und das Porto nicht ausgegeben.


2. Ist ein Anspruch auf Rückübertragung von Besitz und Rückübereignung überhaupt im Rahmen von § 122 zulässig? Kann man über den Weg des "Nicht-Vertrauens" auf ein Verpflichtungsgeschäft, anlässlich dessen ein Verfügungsgeschäft als erfüllende Leistung durchgeführt wurde, die Rückabwicklung des Verfügungsgeschäfts erwirken? Ist das nicht ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip - das Verfügungsgeschäft ist ja schließlich von der Anfechtung wegen des Minimalkonsenses gar nicht betroffen. 

Ja, dieser Anspruch ist möglich und kein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip. Der wesentliche Unterschied zu einem Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip ist, dass das Eigentum durch die Anfechtung nicht automatisch zurückfällt, sondern rechtsgeschäftlich zurückübertragen werden muss. Das ermöglicht es, dass K zwischenzeitlich (wie es ihm in Ihrem Beispiel beinahe gelungen wäre) als Berechtigter über die Münze weiterverfügen kann, D also nicht auf seinen gutgläubigen Erwerb angewiesen ist. Auch trägt V das Risiko der zwischenzeitlichen Insolvenz des K und muss sich im Insolvenzfall mit allen anderen Gläubigern des K gemeinsam dessen Vermögen teilen; ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip wäre es, wenn V automatisch das Eigentum an der Münze zurückbekäme und dadurch in der Insolvenz privilegiert wäre, weil er seine Münze schon hätte.


3. (Wieso) sind die §§ 250 ff. überhaupt auf den SE-Anspruch des § 122 anwendbar? § 249 I lieferte, wenn man ihn auf § 122 I anwenden würde, gerade keine sinnvolle Rechtsfolge: Denn wenn der Geschädigte so zu stellen ist, wie wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand (Unwirksamkeit infolge Anfechtung) nicht eingetreten wäre, wäre er so zu stellen, wie wenn die Anfechtung nie eingetreten und damit der Vertrag wirksam erfüllt worden wäre. Das gesamte Anfechtungsrecht wäre ausgehebelt, da es immer ins Leere laufen würde. 

Ja, die §§ 249 ff. sind anwendbar. Hier ist der einzige kleine Prämissenfehler in Ihrer Frage: Das "zum Ersatz verpflichtende Ereignis" iSv § 249 I BGB ist nicht die Anfechtung selbst, sondern dem Wortlaut des § 122 BGB folgend das Vertrauen in die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts. V ist also so zu stellen, als hätte er nicht darauf vertraut, dass das Geschäft wirksam ist.


4. Angenommen der K würde die Münze nicht verlieren und dem D verkaufen und veräußern. Die Anfechtung richtet sich ja nur gegen den Kaufvertrag, die Verfügung bliebe wirksam, der D hätte also "ganz normal" vom berechtigten K Eigentum erworben. Wäre der K in diesem Fall auch "entreichert" iSd § 818 III und der V könnte nur über § 122 i.V.m. § 285 I die Herausgabe des Veräußerungserlöses verlangen oder wäre das "schon" ein Fall von § 818 II? 

Hier habe ich zwei Korrekturen Ihrer Prämissen:
1)  Auch wenn K im technischen Sinne entreichert ist, versagt ihm die herrschende Meinung in diesem Fall den Entreicherungseinwand nach § 818 III BGB. Der Hintergrund ist mE für das erste Semester wesentlich zu kompliziert. Die einschlägigen Stichworte sind "Saldotheorie" (als Position des BGH) bzw. "Lehre von der Gegenleistungskondiktion" (als Gegenposition in der Lit.). Beide Positionen sind sich in dem Ergebnis einig, dass bei einem gegenseitigen Vertrag der Leistungsempfänger (hier K) grundsätzlich (außer Arglist des V oder Minderjährigkeit des K) das wirtschaftliche Risko eines späteren Verlusts des Leistungsgegenstandes tragen soll, falls der Vertrag nach Bereicherungsrecht rückabwgewickelt werden soll. Seit 2002 gibt es hierfür auch einen normativen Anknüpfungspunkt im BGB in einer Analogie zu § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB. Das ist aber abgefahrener Stoff aus den Gesetzlichen Schuldverhältnissen im 4. Semester.
2) Ob § 285 BGB auf Schadensersatzansprüche überhaupt anwendbar ist, ist umstritten (s. etwa BeckOGK/Dornis, 1.10.2022, § 285 Rn. 35, dort allerdings zu Ansprüchen aus unerlaubter Handlung). Wenn man ihn anwendet, wäre das ein möglicher Inhalt des Schadensersatzanspruches auch aus § 122 BGB. Allerdings ist die Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse des V (!) zu beachten, d.h. mehr als 5 € (20 € Kaufpreis minus 5 € Porto minus 10 € Wert der Münze) kann V ohnehin nicht bekommen, egal was K bei D erlöst hätte.
Ich hoffe, das beantwortet Ihre Fragen.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
Offline Prof. Dr. Thomas Riehm
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Sehr geehrter Herr Professor Riehm, 

vielen lieben Dank für die schnelle Beantwortung meiner Fragen, damit hat sich - zunächst - alles geklärt :D

Beste Grüße
Lukas Gollwitzer

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gollwi03
Lukas Gollwitzer
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Sehr geehrter Herr Professor Riehm, 

nun schließt sich doch noch eine Frage zur Saldotheorie bzw. zur modifizierten Zweikondiktionenlehre an. Gesetzt wir haben den obigen Fall (eine Minderjährigkeit, arglistige Täuschung, Wucher o.Ä. liegt nicht vor). 

Nach der "ursprünglichen" Zweikondiktionenlehre kann der K nun zwar den Kaufpreis zurückverlangen, der V kann zunächst Rückübertragung des Besitzes und des Eigentums an der Sache verlangen; weil dies jedoch unmöglich ist, bleibt nur Wertersatz nach § 818 II, worauf der K dem V jedoch den Entreicherungseinwand nach § 818 III entgegenbringen könnte. 

Die Saldotheorie würde hier ja nun zunächst beide Posten miteinander verrechnen, daraus einen Anspruch des Bereicherungsgläubigers gegen den von der Saldierung begünstigten Bereicherungsschuldner entstehen und erst dann § 818 III zum Zug kommen lassen. 
Prof. Lorenz schreibt dazu in einem quasi identischen Fall: "Schwächen der Saldotheorie bestehen insbesondere darin, dass Sie nur ein Abwehrmittel darstellt, nicht aber einen Anspruch begründen kann, wenn der Gegenstand der Leistung ersatzlos untergegangen ist." (https://lorenz.userweb.mwn.de/skripten/saldotheorie.htm). 
Daraus schließe ich für den vorliegenden Fall, dass zwar zunächst der V gegen den K einen Anspruch iHv fünf EUR hätte, dieser aber dann wegen § 818 III untergeht.
Dies hielte ich auch für ein folgerichtiges Fortdenken des Synallagmas, denn wieso sollte der V denn nun gerade wegen der Unwirksamkeit des Vertrags besser gestellt werden, als wenn der Vertrag wirksam gewesen wäre - dann hätte er ja ebenso die Sache unter Wert verkauft... 

Als Gegenbeispiel habe ich jedoch zum "umgekehrten Fall" (d.h. wie oben mit dem Unterschied, dass V die Sache im Wert von zehn EUR für 15 EUR verkauft) gelesen, dass die Saldotheorie hier nun anordnet, dass der K vom V fünf EUR verlangen kann. 
Daraus würde ich nun schießen: § 818 III ist im Rahmen der Saldotheorie dann anwendbar, wenn die Sache, die untergegangen oder zerstört worden ist, mehr Wert war, als die Gegenleistung (s.o.) und dann nicht, wenn diese Sache weniger wert war, als die erbrachte Gegenleistung (siehe vorliegend). Immer dann also, wenn ein "noch nicht zerstörtes Saldo" vorliegt, darf sich nicht auf § 818 III berufen werden. Dies halte ich jedoch nicht für eine interessengerechte Lösung, denn damit trägt nun ja letztlich doch der V das Risiko für das zufällige Untergehen der Sache beim K...

Entweder ist diese zweite Darstellung der Saldotheorie schlicht falsch und die Saldotheorie führt - wie Prof. Lorenz ausführt - grds. zu keinen Ansprüchen oder aber das ist tatsächlich eine der Schwächen der Saldotheorie, weshalb die h.L. die Problematik eher durch teleologische Korrekturen am § 818 III mit dem Wertungsgesichtspunkt des § 346 III 1 Nr. 3 löst...

Für eine Auflösung dieser Widersprüche wäre ich Ihnen sehr dankbar :D

Beste Grüße

Lukas Gollwitzer

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gollwi03
Lukas Gollwitzer
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Lieber Herr Gollwitzer,
erneut vielen Dank für die tiefschürfende Frage! In der Tat ist die "Saldotheorie" nur eine dogmatische "Krücke", die manchmal (eher zufällig...) zutreffende Ergebnisse hervorbringt und aus der Rechtsprechung irgendwie nicht auszurotten ist. Ich würde - auch für die Fallbearbeitung, vor allem aber für das Verständnis der Problematik - immer von der modifizierten Zweikondiktionentheorie ausgehen, die die einschlägigen Wertungen benennt und in nachvollziehbarer Weise dogmatisch verortet. Die entscheidende Frage ist einfach, ob wir dem Bereicherungsschuldner im Falle der Nichtigkeit eines gegenseitigen Vertrages erlauben wollen, sich auf § 818 III BGB zu berufen, und wir beantworten sie unter Heranziehung des Rechtsgedankens von § 346 III 1 Nr. 3 BGB, der eine vergleichbare Situation regelt.
Mit der Saldotheorie kann man "manchmal" auch die richtigen Ergebnisse begründen - aber Ihr Beispiel zeigt gut, dass dort die Grenzen erreicht sind (übrigens auch bei Vorleistungsfällen, wo es noch nichts zu saldieren gibt). Ich würde also schlicht sagen: Die sollte man nicht anwenden, wenn die "falsche" Partei den positiven Saldo hat.
Beste Grüße
Prof. Dr. Thomas Riehm

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riehm01
Offline Prof. Dr. Thomas Riehm
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